Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
sich, stapfte zurück zu dem Baumstumpf und ließ sich erneut darauf nieder.
Kai starrte niedergeschlagen seine Flöte an. Er brauchte eine Weile, um seine Verzweiflung abzuschütteln. Bei der Vorstellung, eines Tages als Torfstecher zu enden, krampfte sich sein Magen zusammen. Er durfte nicht versagen. Er wusste, dass er das Talent zum Irrlichtjagen hatte.
Er wusste es einfach.
Manchmal, wenn er allein war, konnte er ein Irrlicht in seiner Laterne nur kraft seines Willens zum Hüpfen bringen. Leider klappte das nie, wenn jemand dabei war. Seine Großmutter hatte ihm nicht geglaubt. Aber es war so. Außerdem wusste er stets, wo sich im Moor die besten Plätze zur Irrlichtjagd befanden. Selbst wenn nicht Vollmond war.
Er musste also etwas falsch gemacht haben. Nur was ?
Zum dritten Mal an diesem Abend ließ sich Kai hinter dem Schilfdickicht nieder. Seine Großmutter war also davon überzeugt, dass die Melodie eher für den Irrlichtjäger selbst bestimmt war. Diente sie lediglich der Konzentration? Oder setzte sie besondere Kräfte frei ? Vielleicht beides ? Nachdenklich massierte er sich die Finger. Wenn er beim Flötenspiel an etwas Trauriges dachte, vielleicht würde sich das auf sein Spiel auswirken ? Vielleicht würde die Melodie dann noch schwermütiger klingen? Kai dachte nach. Doch das Betrüblichste, was er sich im Moment vorzustellen vermochte, war die Enttäuschung seiner Großmutter, wenn es ihm abermals nicht gelingen sollte, ein Irrlicht anzulocken.
Kai setzte die Flöte an und spielte abermals die wehmütige Melodie. Er versuchte, eins zu werden mit der Musik. Es dauerte nicht lange und wieder spürte er die Wärme. Es war, als streife ein warmer Sommerwind seine Nasenspitze. Sacht und zart. Irgendwo rechts von ihm, weit draußen im Moor. Kai blinzelte und das Gefühl ebbte ab. Er spielte lauter. Wieder spürte er die Irrlichter. Es mussten drei sein, nein vier. Aufgeregt glitten seine Finger über das Instrument. Doch so sehr er sich auch bemühte, die Flammenwesen zeigten sich nicht. Es war vielmehr so, als wollten sie ihn ... ärgern. So als versuchten sie, ihren Spott mit ihm zu treiben.
Jede Konzentration war dahin.
Die Irrlichter wollten ihn verhöhnen.
Kai wurde wütend.
Er würde es nicht zulassen, dass sie sich über ihn lustig machten.
Ohne es selbst zu bemerken, erhob er sich. Hinter ihm gab seine Großmutter einen Laut der Überraschung von sich. Doch Kai ignorierte sie. Die Melodie, die er nun anstimmte, war nicht mehr von Wehmut durchdrungen, sondern glich dem hitzigen Spiel einer Fidel. Sie war ein Spiegel seiner Wut. Wenn die Irrlichter nicht von selbst kamen, dann würde er sie eben ... zwingen!
Zu seiner Überraschung spürte er, wie die Wärmepunkte am Rande seines Gesichtsfeldes unruhig wurden. Unvorsichtig. Leichtsinnig.
In diesem Moment konnte er jenseits eines mondbeschienenen Hügels einen winzigen Glutpunkt ausmachen. Und dann noch einen. Und noch einen. Kai ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Diesmal würde er die Irrlichter nicht entkommen lassen.
Je mehr er sich seiner Wut überließ, desto schriller wurde die Flötenmusik. Die Melodie steigerte sich zu einem zornigen Crescendo. Sie schien sich zu einem unsichtbaren Gewebe zu verdichten, das die Irrlichter packte und ihnen seinen Willen aufzwang. Plötzlich durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz. Kai ignorierte das Gefühl und spielte weiter. Als würde eine unsichtbare Hand an den fernen Glutpunkten zerren, sausten die Irrlichter über die glitzernden Wasserflächen und dunklen Hügel auf ihn zu. Die grell leuchtenden Gestalten jammerten nicht, diesmal brüllten sie. Entsetzt brach Kai sein Flötenspiel ab, stolperte und klatschte rücklings in den Morast.
Die Irrlichter kamen. Und sie waren schnell.
»Großmutter, hilf mir!«, rief Kai. Erst jetzt bemerkte er, dass ihm vor Erschöpfung die Arme zitterten. Er ließ die Flöte fallen und kam gerade noch dazu, den Lohenfänger in die Höhe zu reißen, kaum, dass das erste Irrlicht über die Schilfhalme fegte. Nur einen halben Schritt von ihm entfernt schlug das Flammenmännchen einen Haken und stob jaulend in die offene Laterne. Die Wucht, mit der dies geschah, riss Kai fast die Rute aus den Händen. Einen Moment lang befürchtete er, die Kupferlampe würde sich lösen und herabfallen, denn das Irrlicht gebärdete sich wie eine wütende Schmeißfliege. Kai kam gerade noch dazu, sich aufzurappeln, als der nächste Glutball von jenseits des Schilfs auf den
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