Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
Eingangstür!“
„Verdammt! Wer hat dir eigentlich beigebracht, so stur zu verhandeln?“
„Das verdanke ich alles nur meinem großen Bruder und einzigem Vorbild.“
Wieder schenkte sie ihm ein Du-kannst-deiner-kleinen-Schwester-doch-eh-nicht-böse-sein-Lächeln.
Tom verzog frustriert das Gesicht. Sie wusste genau, wie sie ihn manipulieren konnte. Dieses Lächeln funktionierte immer bei ihm.
„Bis hinter die Eingangstür! Und ich warte so lange, bis ich sehe, dass du dich zurechtfindest!“, beharrte er bockig.
Lachend stieg Linda aus. Ihr Bruder nahm die Tasche und alle wichtigen Dinge, die sie sonst noch brauchte, aus dem Kofferraum. Als er das Auto umrundet hatte, hakte sie sich bei ihm ein und schritt frohen Mutes die Eingangstreppe hinauf.
Valerian öffnete die Autotür und stieg aus. Das Haus bot einen einschüchternden Anblick. Erhaben stand es da, wie ein Herrenhaus aus längst vergessener Zeit. Aus Stein gehauen, standhaft und beständig wider die Jahrhunderte. Die von Säulen umrahmte Eingangstreppe führte weit ausholend einer großen Doppeltür entgegen. Valerian hatte gar nicht gewusst, dass es solche Häuser in Berlin überhaupt gab. War die Stadt im Zweiten Weltkrieg nicht beinahe vollständig zerstört worden? Es musste eine Nachbildung sein. Engländer waren ja für ihre Spleene bekannt. Vermutlich hatte der verrückte Ritter-Rektor seinen Familiensitz abreißen und hier neu aufbauen lassen. Geld schien ja hier genügend vorhanden zu sein.
Bei diesem Gedanken huschte ein schiefes Grinsen über sein Gesicht. Das Ganze war auch zu verrückt! Natürlich sollte er dankbar sein. Seit den neuen Gesetzen war ein Studium für ihn alles andere als erschwinglich geworden. Doch eine gesunde Portion Humor machte seine skurrile Lage etwas erträglicher.
Der Fahrer hatte das Auto umrundet und stellte den Koffer neben ihm ab. War jetzt der Zeitpunkt, an dem der Fahrer ein Trinkgeld bekam?
Hoffentlich nicht, ich habe praktisch kein Geld bei mir. Erst einmal mit einem Dankeschön probieren …
„Vielen Dank fürs Herbringen.“
Valerian musste den Wunsch zu salutieren unterdrücken.
„Keine Ursache, Herr Wagner.“
Der Chauffeur nickte ihm leicht zu und wandte sich zum Gehen. Vermutlich würde er heute noch andere junge Studienanfänger zu ihrem neuen Wohnort fahren. Valerian sah ihm noch kurz hinterher und ließ dann den Blick schweifen.
Um ihn herum wuselten Neuankömmlinge, die noch ziemlich desorientiert herumliefen. Manche wurden hier von ihren Eltern abgesetzt und unter feuchten Augen verabschiedet (wie peinlich!) . Zum Glück war ihm das erspart geblieben. Tante Edith und ihr Björn hätten auch mehr als deplatziert gewirkt. Sie gehörten weder zur geistigen Elite noch zur High Society. Womöglich hatte das sein neuer Rektor genauso gesehen und ihn vorsorglich abholen lassen.
Umso besser!
Sportlich joggte er die Treppe hoch, jeweils zwei Stufen auf einmal erklimmend. Oben angelangt, traf er auf eine beschäftigte Frau, die trotz des herrschenden Chaos alle Fäden in der Hand hielt. Sie war schätzungsweise Ende zwanzig und hatte braunes langes Haar, das ihr stufig modern ins Gesicht fiel. Sie war schlank, groß gewachsen und auf ihre eigene Art sehr attraktiv. Sie erinnerte ihn ein wenig an die Sängerin von „The Corrs“. Deren Namen wusste er zwar nicht mehr, aber das war sowieso nicht seine Musik. Sie trug eine markant geschnittene Brille, die ihr gut stand und sie ein wenig herrisch wirken ließ. Ihre Augen waren von einem besonderen Grün und blickten dem Gegenüber bis tief unter die Haut. In ihrer linken Hand hatte sie ein Clipboard, auf dem einige Blätter befestigt waren. Ihre Rechte hielt einen Kugelschreiber und versah eine Liste mit Haken. Als er näher herantrat, sah sie zu ihm auf und erkundigte sich kurz angebunden nach seinem Namen.
„Valerian Wagner.“
Die fein geschwungenen Brauen der Frau schossen in die Höhe und sie erwiderte: „Ah, na endlich! Sie werden bereits vom Rektor erwartet.“
Sie fuhr herum und die Hand mit dem Kugelschreiber schoss nach vorne. „Durch die Halle, den Gang rechts runter, die letzte Tür auf der linken Seite. Sein Name steht angeschrieben. Und etwas Beeilung, wenn ich bitten darf! Nächster!“
Der „Nächste“ hinter ihm drängte Valerian bereits zur Seite.
Valerian, dem eine schneidende Bemerkung schon auf der Zunge lag, schluckte diese herunter. Ist das zu fassen?! Diese verschrobene Sekretärin kommandierte ihn schon vor
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