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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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Blüten der Kartoffelpflanzen über dem Unkraut. Jetzt liegen sie flach und faulig am Boden. Hier werde ich zu Ehren von Jonas Svensson Amaranth pflanzen. Hier werde ich mit salzresistenten Pflanzen experimentieren. Ich grabe jeden Tag einige Quadratmeter um, bevor der Winter die Erde hart macht. Wiederholte Bewegungen beruhigen mich. Während ich grabe, zieht Freddy Würmer aus der frisch gewendeten Erde oder wandert ein Stück weiter und sucht im Heidekraut nach Knochen und Schädeln von Vögeln, Wühlmäusen, Wieseln, Ratten und Mäusen. Mit seinen flinken, schmutzigen Händen gestaltet er daraus grobe Halsketten, fügt Zweige, Beeren und Schneckenhäuser hinzu und fädelt alles auf eine Angelschnur aus Nylon oder Pferdehaar, das er von einem Stacheldraht gezupft hat. Dann wieder stöbert er im Buschland am anderen Ende der Klippe und sammelt alle möglichen Arten von Käfern, Spinnen und Larven. Oder er sucht den Strand nach Krebsen, Krabben und Algen ab. Es wäre sinnlos, ihn davon abzuhalten, seine Funde zu verschlingen. In der Welt, die er bewohnt, weiß er genau, was er braucht.
    Am Morgen, nachdem Freddy und ich angekommen waren, zeigte ich ihm, wo der Fisch wohnt. Gemeinsam zogen wir die Vogelmiere aus der Badewanne und kippten das Geschöpf ineinen Eimer. Der Gummistöpsel funktionierte noch. Ich holte ihn heraus, ließ das stinkende Wasser in die Erde darunter sickern, und dann stellten wir die Wanne auf den Ziegelsteinsockel. Wir säuberten die Emaille, steckten den Stöpsel in den Ausguss und füllten die Wanne mit Regenwasser aus dem Fass. Nachdem sich das Sediment gesetzt hatte, setzten wir den Goldfisch wieder hinein. Eine seiner Flossen war beschädigt, und er schien einen Tumor neben dem Auge zu haben. Dennoch fesselte er Freddys Aufmerksamkeit – so kam es mir jedenfalls vor, bis ich vorschlug, ihm einen Namen zu geben. Er hatte immer gern Dinge getauft.
    Doch er schaute mich nur ausdruckslos an, als käme ich von einem anderen Planeten.
    Seither beschränkt sich unsere Kommunikation auf ein Minimum, so als wäre er in ein Land gezogen, in dem er die Konversation, die ich zu bieten habe, einfach nicht braucht. Gelegentlich überrasche ich ihn, wenn er mit etwas beschäftigt ist – einer vertrockneten Qualle, einem Weberknecht, einer Made –, und erreiche bei ihm einen kurzen Redefluss. Er ist jedoch nie von Dauer.
    Als es zum ersten Mal passierte, war ich beim Umgraben. Ich klopfte Feuersteine aus kalten Erdklumpen und erzählte ihm von dem Glauben, dass, wenn man tausend ozuru falte, ein Wunsch in Erfüllung gehe. Ich berichtete von dem japanischen Mädchen, das nach Hiroshima Strahlenkrebs bekommen hatte.
    »Sie faltete und faltete, bis sie tausend Kraniche zusammenhatte, und wünschte sich dann, geheilt zu werden. Als sie erkannte, dass das unmöglich war, wünschte sie sich stattdessen den Weltfrieden.«
    Auch dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Aber das sage ich nicht.
    »Ich werde tausend ozuru falten«, sagte Freddy und zogeinen Wurm aus der Erde. Ich hatte nicht mit einer Antwort gerechnet. Mein Herz spielte verrückt. Der Wurm wand sich zwischen seinem Daumen und Zeigefinger. Er wischte ihn sauber.
    »Was wünschst du dir denn?«
    Keine Antwort. Ich fragte noch einmal. Doch er stand nur da und kaute auf seinem Wurm herum.
    Später fragte ich mich, weshalb ich ihn nicht gedrängt hatte. Weshalb ich stattdessen weitergegraben hatte, fester und fester, mich in einen wütenden Rhythmus hineingesteigert und auf das konzentriert hatte, was ich im Frühjahr und Sommer pflanzen wollte: Wurzelgemüse, Stangenbohnen, Tomaten, Auberginen, einige Kürbissorten, ein bisschen Soja.
    Die Antwort lautet: Mich überfordert das. Ich verarbeite Dinge nur langsam. Ich weiß, wann ich nicht bereit bin.
    Ich war nicht bereit. Also grub ich weiter.
    Bald muss ich mich dem stellen, was er sich so sehnlich wünscht. Er ist ein Kind. Er will mit seinesgleichen zusammen sein. Laut allen kinderärztlichen Ratgebern, die ich gelesen habe, ist es vollkommen normal, wenn Kinder die Gesellschaft Gleichaltriger suchen.
    Doch die Vorstellung, ihn noch einmal zu verlieren, bringt mich um. Das ist natürlich nur eine Redewendung. Ich werde am Leben bleiben. Aber ich werde kein Glück mehr erleben.
    Was mich betrifft, so muss ich alles außer den nützlichen Erinnerungen an mein altes Leben löschen. Ich behalte nur das, was Hinweise auf die Vergangenheit liefert und mir dabei hilft, eine Zukunft zu entwerfen, die

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