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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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dran als versprochen, hauptsächlich wegen Lord Jino und seinen endlosen raffinierten Fragen.
    »Bitte, Mylord«, erklärte sie im Aufstehen, »es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich zu meinen Freunden.« Nach all den Monaten bei der fahrenden Schauspieltruppe war es so schwer, sich wieder wie eine Prinzessin zu bewegen und zu benehmen — es fühlte sich mindestens so gespielt an wie jede der Rollen, die sie bei Makswells Mimen verkörpert hatte. »Ich ersuche Euch inständig um Verzeihung.«
    »Mit Freunden meint Ihr die Schauspieler?« Erasmias Jino zog eine sorgsam gezupfte Augenbraue hoch. Der syanesische Hofadlige sah aus wie ein Geck, aber das war nur die hiesige Mode: Jino war bekannt für seinen scharfen Verstand und hatte zudem drei Männer bei vom Ehrengericht verfügten Duellen getötet. »Hoheit, Ihr wollt doch gewiss nicht weiterhin so tun, als könntet Ihr mit solchen ... Leuten tatsächlich befreundet sein. Sie haben Euch ermöglicht, unerkannt zu reisen — eine clevere List, wenn man sich auf gefährlichen Straßen durch ein unsicheres Land fortbewegen muss —, doch die Zeiten dieser Tarnung sind vorbei.«
    »Dennoch muss ich sie treffen. Es ist meine Pflicht.« Sie musste zugeben: An dem, was er sagte, war etwas dran. Sie hatte die Schauspieler nie wie richtige Freunde behandelt, sondern alles Wichtige über ihre Person für sich behalten. Die Mimen hatten sie in ihr Leben eingelassen, aber Briony Eddon hatte diese Offenheit nicht erwidert: Sie waren ehrlich zu ihr gewesen, sie umgekehrt ganz und gar nicht.
    Nun ja, die meisten waren ehrlich gewesen. »Wenn ich es recht verstehe, habt Ihr sie alle freigelassen bis auf Finn Teodorus. Er hat behauptet, Botschaften von Lord Brone für Euren König zu haben. Ich bin Avin Brones rechtmäßige Herrscherin, und er hätte mir diese Botschaften niemals vorenthalten, das weiß ich. Also würde ich sie gern hören.«
    Jino lächelte und kämmte sich mit den Fingern durch den Bart. »Mag sein, dass Ihr sie hören werdet, aber diese Entscheidung, Prinzessin Briony, liegt bei meinem Herrn, König Enander; er wird Euch heute noch zu sich rufen.« Die Nennung der beiden Titel in einem Satz war kein Zufall: Jino erinnerte sie daran, dass sie selbst dann im Rang unter dem syanesischen König stünde, wenn sie in ihrem eigenen Land wäre — was sie nicht war.
    Lord Jino erhob sich mit einer Grazie, um die ihn die meisten Frauen beneidet hätten. »Kommt. Ich bringe Euch jetzt zu den Schauspielern.«
    Vater weg, Kendrick weg, Barrick ...
Sie versuchte die Tränen, die plötzlich auf ihrem Lidrand zitterten, am Herabrinnen zu hindern.
Shaso und jetzt auch noch Dawet. Alle weg, die meisten tot — wenn nicht gar alle ...
Sie versuchte sich zu fassen, ehe der syanesische Hofadlige etwas merkte. Und jetzt muss ich mich auch noch von Makswells Mimen verabschieden. Es war ein seltsames Gefühl, diese Einsamkeit. Bisher hatte sie Einsamkeit immer als etwas Vorübergehendes betrachtet, etwas, das es auszuhalten galt, bis sich die Umstände wieder normalisierten. Jetzt hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, dass es vielleicht gar nichts Vorübergehendes war, dass sie womöglich lernen musste, so zu leben, hoch erhobenen Hauptes wie eine Statue, hart wie Stein, aber inwendig hohl.
Gänzlich hohl ...
    Jino führte sie durch den Palast, dann durch einen der großen Gärten von Weithall und in einen stillen Wandelgang, der sich eine der hohen Palastmauern entlangzog. So eine riesige Anlage — der Palast allein schon so groß wie ganz Südmarksburg und Südmarkstadt zusammen. Und sie kannte hier keine Menschenseele, hatte niemanden, dem sie vertrauen konnte ...
    Verbündete. Ich brauche Verbündete in diesem fremden Land.
    Die Mitglieder der südmärkischen Theatertruppe saßen auf einer Bank in einem fensterlosen Gelass, unter den wachsamen Blicken mehrerer Bewaffneter. Die meisten schienen ohnehin schon verängstigt, und Briony vor sich zu sehen, jetzt offiziell als ihre rechtmäßige Regentin ausgewiesen und in den kostbaren Gewändern, die ihr Jino beschafft hatte, machte es nicht gerade besser. Estir Makswell, deren letzte Worte zu Briony wütend und hässlich gewesen waren, erbleichte sogar und duckte sich, als rechnete sie damit, geschlagen zu werden. Von all den Schauspielern auf der Bank wirkte nur der junge Feival nicht eingeschüchtert. Er musterte sie von Kopf bis Fuß.
    »Na, die haben Euch ja fein ausstaffiert?«, sagte er anerkennend. »Aber steht grade,

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