Die Dämonen
etwas erreicht. Wenn wir arbeiten werden, werden wir auch eine eigene Meinung haben. Aber da wir nie arbeiten werden, so werden an unserer Statt auch immer diejenigen eine Meinung haben, die statt unser bisher gearbeitet haben, das heißt Westeuropa, die Deutschen, die seit zwei Jahrhunderten unsere Lehrer sind. Überdies ist Rußland ein zu großes Rätsel, als daß wir allein, ohne die Deutschen und ohne Arbeit, es lösen könnten. Schon seit zwanzig Jahren läute ich Sturm und rufe zur Arbeit auf! Ich habe mein Leben diesem Aufrufe geweiht, und ich Tor habe an einen Erfolg geglaubt! Jetzt glaube ich daran nicht mehr; aber ich läute und werde läuten bis zu meinem Ende, bis zum Grabe; ich werde den Glockenstrick ziehen, bis man zu meiner Seelenmesse läutet!«
Leider stimmten wir ihm lediglich bei. Wir klatschten unserm Lehrer Beifall, und mit welchem Eifer! Aber, meine Herren, hört man nicht auch jetzt noch auf Schritt und Tritt solchen »hübschen«, »verständigen«, »liberalen«, altrussischen Unsinn?
An Gott glaubte unser Lehrer. »Ich begreife nicht, warum mich hier alle als Gottesleugner hinstellen?« sagte er manchmal. »Ich glaube an Gott;
mais distinguons:
ich glaube an ihn wie an ein Wesen, das sich seiner nur in mir bewußt wird. Ich kann eben nicht in der Weise an ihn glauben wie meine Nastasja« (das Dienstmädchen), »oder wie ein Hausherr, der ›unter allen Umständen‹ glaubt, oder wie unser lieber Schatow, – übrigens nein, Schatow scheidet hier aus. Schatow glaubt zwangsweise, als Moskauer Slawophile. Was aber das Christentum anlangt, so bin ich bei all meiner aufrichtigen Hochachtung gegen dasselbe doch kein Christ. Eher bin ich ein antiker Heide wie der große Goethe oder wie die alten Griechen. Man nehme schon allein den Umstand, daß das Christentum kein Verständnis für das Weib gehabt hat, wie das George Sand in einem ihrer genialsten Romane so prächtig dargelegt hat. Was Verbeugungen, Fasten und all dergleichen anlangt, so sehe ich nicht ab, wen meine Ansicht darüber etwas angeht. Mögen auch unsere hiesigen Denunzianten eine noch so rege Tätigkeit entwickeln, so will ich doch kein Jesuit sein. Im Jahre 1847 schickte Bjelinski, der damals im Auslande war, seinen bekannten Brief an Gogol und machte diesem darin heftige Vorwürfe darüber, daß er ›an irgendwelchen Gott‹ glaube.
Entre nous soit dit,
ich kann mir nichts Komischeres vorstellen als den Augenblick, wo Gogol (der damalige Gogol!) diesen Ausdruck und den ganzen Brief las! Aber ich lasse die Lächerlichkeit beiseite, und da ich in allem Wesentlichen einverstanden bin, so sage ich und spreche es aus: das waren Männer! Sie verstanden es, ihr Volk zu lieben; sie verstanden es, für dasselbe zu leiden; sie verstanden es, für dasselbe alles zu opfern, und sie verstanden es gleichzeitig, wo das nötig war, auf ein Zusammengehen mit ihm zu verzichten und ihm in gewissen Anschauungen nicht nach dem Munde zu reden. Es war doch auch wirklich unmöglich, daß ein Bjelinski die Erlösung in Fastenöl oder in Rettich mit Erbsen suchte! ...«
Aber hier erhob Schatow Einspruch.
»Niemals haben diese Ihre Männer das Volk geliebt, für dasselbe gelitten und ein Opfer gebracht, wenn sie sich das auch selbst zu ihrem Troste eingebildet haben mögen!« brummte er grimmig, indem er die Augen auf den Boden richtete und sich ungeduldig auf seinem Stuhle hin und her drehte.
»Diese Männer, die sollten das Volk nicht geliebt haben!« rief Stepan Trofimowitsch klagend. »O, wie haben sie Rußland geliebt!«
»Weder Rußland noch das Volk!« rief nun Schatow ebenfalls erregt; seine Augen funkelten. »Man kann nicht lieben, was man nicht kennt, und sie haben keinen Begriff vom russischen Volke gehabt! Alle diese Männer und Sie mit ihnen haben das russische Volk durch eine Brille betrachtet, und Bjelinski ganz besonders; das geht schon aus ebendiesem seinem Briefe an Gogel hervor. Bjelinski hat, genau so wie der Wißbegierige in der Krylowschen Fabel, den Elefanten im zoologischen Museum nicht bemerkt 5 und seine ganze Aufmerksamkeit auf die französischen sozialistischen Käferchen gerichtet; dabei ist er bis zu seinem Lebensende verblieben. Und der war doch noch verständiger als Sie alle! Und nicht genug damit, daß Sie das Volk verkennen, empfinden Sie gegen dasselbe auch Ekel und Geringschätzung, schon allein deswegen, weil Sie sich unter einem Volke nur das französische Volk vorstellen, und auch von dem nur die Pariser, und
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