Die Dämonen
einer Idee nicht einmal in solchem Grade beschäftigen. Niemals, niemals kann ich mich erschießen!
Ich weiß, daß ich mich töten, mich wie ein gemeines Insekt von der Erde wegfegen müßte; aber ich fürchte mich vor dem Selbstmorde, weil ich mich davor fürchte, hochherzig zu scheinen. Ich weiß, daß das wieder ein neuer Betrug sein würde, der letzte Betrug in einer endlosen Reihe ähnlicher. Was hätte es für einen Nutzen, sich selbst zu täuschen, nur um die Rolle des Hochherzigen zu spielen? Empörung und Schamgefühl kann es in meiner Seele niemals geben, folglich auch keine Verzweiflung.
Verzeihen Sie, daß ich so viel schreibe. Ich habe es unversehens getan und bin jetzt zur Besinnung gekommen. In Wahrheit sind hundert Seiten zu wenig und zehn Zeilen genug. Es genügen zehn Zeilen, um Sie als ›Krankenwärterin‹ zu mir zu rufen.
Ich wohne, seit ich fortgereist bin, auf der sechsten Station beim Bahnhofsvorsteher. Ich bin mit ihm vor fünf Jahren, zur Zeit meines tollen Lebens, in Petersburg bekannt geworden. Daß ich hier wohne, weiß niemand. Schreiben Sie mir durch seine Vermittlung. Ich lege seine Adresse bei.
Nikolai Stawrogin.«
Darja Pawlowna ging mit diesem Briefe sogleich zu Warwara Petrowna und zeigte ihn ihr. Diese las ihn und bat dann Darja hinauszugehen, um ihn noch einmal allein durchzulesen; aber sehr bald rief sie sie wieder zurück.
»Wirst du hinreisen?« fragte sie sie beinah schüchtern.
»Ja, ich werde hinreisen,« antwortete Darja.
»Mach dich fertig! Wir fahren zusammen!«
Darja blickte sie fragend an.
»Was soll ich jetzt hier tun? Ist nicht alles ganz gleich? Ich werde ebenfalls in Uri das Bürgerrecht erwerben und in der Schlucht leben ... Sei unbesorgt; ich werde euch nicht stören.«
Sie fingen schnell an zu packen, um noch zum Mittagszuge zurechtzukommen. Aber es war noch keine halbe Stunde vergangen, als aus Skworeschniki Alexei Jegorowitsch eintraf. Er meldete, Nikolai Wsewolodowitsch sei plötzlich am Morgen mit dem Frühzuge angekommen und befinde sich in Skworeschniki; aber der Herr sei in einem solchen Zustande, daß er auf Fragen nicht antworte; er sei durch alle Zimmer hindurchgegangen und habe sich in seinen Wohnräumen eingeschlossen ...
»Ich habe für richtig gehalten, ohne des Herrn Befehl herzufahren und Meldung zu tun,« fügte Alexei Jegorowitsch mit sehr bedeutsamer Miene hinzu.
Warwara Petrowna sah ihn durchdringend an und stellte keine Frage. Augenblicklich mußte der Wagen vorfahren. Sie fuhr mit Darja zusammen. Während der Fahrt soll sie sich häufig bekreuzt haben.
In Nikolai Wsewolodowitschs Wohnräumen waren alle Türen geöffnet, er selbst aber nirgends zu sehen.
»Ob der Herr vielleicht im Halbgeschoß ist?« äußerte der Diener Fomuschka vorsichtig.
Auffälligerweise waren nach den Wohnräumen des Herrn mehrere Diener hinter Warwara Petrowna hergegangen; die übrigen warteten alle im Saale. Niemals hätten sie es früher gewagt, sich eine solche Verletzung der Etikette zu erlauben. Warwara Petrowna sah es und schwieg.
Sie stiegen auch nach dem Halbgeschoß hinauf. Dort waren drei Zimmer; aber in keinem fanden sie ihn.
»Ob der Herr nicht dahin gegangen ist?« sagte jemand und zeigte auf eine Tür, die nach der Giebelstube führte.
In der Tat war die sonst stets verschlossen gehaltene Tür zur Giebelstube jetzt geöffnet und stand sperrangelweit auf. Man mußte auf einer langen, sehr engen und furchtbar steilen Treppe bis fast unter das Dach hinaufsteigen. Dort war ebenfalls noch ein Zimmerchen.
»Ich gehe da nicht hinauf. Zu welchem Zwecke sollte er da hinaufgestiegen sein?« sagte Warwara Petrowna, die sehr blaß geworden war, und sah sich nach den Dienern um. Diese sahen sie an und schwiegen. Darja zitterte.
Warwara Petrowna eilte die Treppe hinauf, Darja ihr nach. Aber kaum war sie in die Giebelstube getreten, als sie aufschrie und bewußtlos hinfiel.
Der Bürger des Kantons Uri hing dort gleich hinter der Tür. Auf einem Tischchen lag ein Stück Papier, auf dem mit Bleistift geschrieben war: »Es soll niemand beschuldigt werden; ich habe es selbst getan.« Ebendort auf dem Tischchen lag auch ein Hammer, ein Stück Seife und ein großer Nagel, der augenscheinlich als Reserve bereitgehalten war. Die starke seidene Schnur, an welcher sich Nikolai Wsewolodowitsch aufgehängt hatte, war offenbar nach sorgsamer Auswahl vorher beschafft und reichlich mit Seife eingerieben worden. Alles zeugte von vorbedachter Absicht und
Weitere Kostenlose Bücher