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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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Verbrechen?
    Nein, hieß es bei der Staatspolizei. Die Sache ist erledigt, kein Verdacht mehr, der Fall sei abgeschlossen.
    Man hatte keine Lust, mit uns zu diskutieren. Es war auch schon zu lange her, es gab Wichtigeres. Der Señor, sagte mir der leitende Beamte, könne seinen Paß wieder abholen. Nur, das Visum sei inzwischen abgelaufen. Der Señor müsse eine Verlängerung beantragen.
    »Nicht mehr nötig«, sagte ich dem Beamten. »Der Señor ist tot.«

74
     
     
     
    Es waren sieben Seiten, dünnes Luftpostpapier, blau, kleines Format mit der Aufschrift Hotel Crillon, Lima, Avenida Nicolas de Pierola. Das beste Haus am Platz. Dort hatte Roczinski nicht gewohnt. Diesmal nicht.
    Die Seiten waren eng beschrieben und lagen hinten in seinem Tagebuch.
    Ein Protokoll seiner Erlebnisse.
    Er hat versucht, die Tage zwischen dem Unglücksfall und seinem Eintreffen in Lima zu rekonstruieren. Warum? Und für wen?
     
    »8. November.
    Es ist kurz nach 23 Uhr. Seit zwei Tagen bin ich hier in Lima, Hotel ›Cortez‹, Calle Huancavelica 67. Mein Zimmer liegt im zweiten Stock. Es hat die Nummer 216. Ich habe heute morgen unter merkwürdigen Umständen Professor Estrella getroffen.
    Morgen fliege ich zurück nach Los Angeles. Ich werde das Material vernichten. Es liegt dort im Internationalen Flughafen, Schließfach B 4 – 37, gegenüber der Information. Zu den Ereignissen des 2. November:
    Ich glaube nicht, daß es Zufall war, daß die anderen vorausgingen und daß ich zurückblieb. Ich habe eine Katastrophe erwartet – nicht bewußt, aber ich habe sie geahnt. Ich habe die beiden nicht zurückgehalten, die hineinrannten in diesen Hitzeschild, in das Verteidigungssystem der Raumschiffe. Insofern trifft mich Schuld.
    Ich erreichte den Ort Nazca. Es war inzwischen Nacht geworden. Um das Flugzeug standen einige Indios, viele Kinder, auch zwei Polizisten. Ich sah sie kurz im Scheinwerferlicht und fuhr weiter. Ich war nicht in der Lage, Auskunft zu geben. Ich fuhr die Panamerican nach Norden. In irgendeinem Dorf erkundigte ich mich nach einem Arzt. Ich spreche nicht spanisch – nur einige Worte: ›Médico?‹ – Ich fragte die Leute auf der Straße: ›Médico – médico?‹
    Es war völlig sinnlos, ich wußte, hier gab es keinen Arzt. Und wozu auch?
    Ich hätte die Polizei verständigen sollen, das Militär. Ich bog von der Hauptstraße ab, fuhr einen schmalen Weg bergauf, an niederen Häusern entlang, Lehmhütten mit Schilfdach. Indios kamen heraus – ›Médico – médico?‹ Sie verstanden nicht recht.
    ›Médico – si‹ – einer schien zu begreifen. Er war mit einem Esel gekommen. Er ließ ihn einfach stehen, stieg zu mir in den Jeep: ›Siempre derecho! – Adelante! Geradeaus!‹ Eine Stunde ging es steil bergauf. Dann weiter zu Fuß. Mir kamen Zweifel. ›Mêdico?‹
    ›Si si si!‹ – Er sagte, wir hätten es eilig. – ›Ràpido – ràpido!‹ Ein steiler Pfad zwischen Felsen, über Geröll und Schotter. Kein Licht. Ich taumelte hinter ihm her.
    Nach einer halben Stunde glaubte man zu ersticken – wir waren über dreitausend Meter hoch. ›Rapidol‹ In den Fensterlöchern der Hütten brannten Öllampen. Der Schein von Feuer fiel auf die Straße, auf die Mauern, die sie begrenzten.
    Eine Gruppe Indios – Neugierige. Sie lachten mich an, waren erleichtert. ›Médico – médico…!‹ Man schob mich hinein. Drinnen herrschte Totenstille.
    Auf dem Boden, auf einer Matte, lag ein Mensch. ›Enfermo – esta enfermo‹ – er ist krank. Man brachte Lampen, von überallher Lampen, Talglichter, Kerzen. Und ich erkannte das Gesicht!
    Der Mann war weiß, weiß und farblos, seine Haut fast durchsichtig. Er war kahl, hatte weder Wimpern noch Brauen. Ein fremdartiger Blick aus tausendjährigen Augen. Ich kannte das Gesicht.
    Er atmete schwer, Schweiß lief über die Stirn, in die Augen, in den geöffneten Mund. Er atmete und schwieg. Ich hatte das Tonbandgerät mitgeschleppt, um nichts im Wagen zu lassen – und die Filmkamera vergessen. Es war alles so sinnlos gewesen.
    Ich hielt also dem Unbekannten das Mikrofon vor den Mund –        er atmete hastig und schwieg. Ich redete auf ihn ein, es war ziemlich lächerlich, auf englisch, auf französisch.
    Das Tonband war auch längst abgelaufen, in Nazca bereits. Die Indios starrten mich an.
    ›Médico?‹ – Sie haben nach einem Arzt geschickt, der Arzt kommt, tut nichts, hält nur ein Zaubergerät über den Kranken –        redet.
    Vielleicht

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