03 - Sinnliche Versuchung
Vorwort
London 1814
In der Kirche
fing man zu tuscheln an. Oh, aber das war unrecht ... so unrecht. Nur wenige
Augenblicke zuvor war sie fest überzeugt, dass sie für ihre Hochzeit keinen besseren
Tag hätte wählen können.
Von oben drang das
Sonnenlicht durch die bunten Glasfenster der St.George Kirche am Hanover Square
und tauchte das Kircheninnere in ein gleißendes, übernatürliches Licht.
Es war ein Zeichen,
sagte sich Lady Julianna Sterling, als sie aus der Kutsche stieg und auf die
Kirche zuging. Zu lange hatte ein Schatten über dem Leben der Sterlings
gelegen. Diesen wunderschönen Tag hatte sie als Symbol für ihr zukünftiges
Leben betrachtet. Wie ein gutes Omen. An einem so prachtvollen Sonnentag würde
sich nicht eine einzige dunkle Wolke an den Himmel wagen. Ihre Verbindung mit
Thomas Markham würde unter einem guten Stern stehen ... unter dem besten.
Und doch kämpfte
sie wenige Augenblicke später gegen die aufkommende Panik an. Thomas hätte
eigentlich schon da sein müssen.
Wo war er? Wo?
Eine Hand berührte
sie am Ellbogen. Fragend blickte Julianna in die grauen Augen ihres ältesten
Bruders. Auch wenn Sebastian das Getuschel der Gäste mitbekommen hatte, ließ er
sich nichts anmerken.
»Du siehst wie eine
Prinzessin aus«, sagte er leise.
Julianna lächelte
ein bisschen gequält. Zartrosa Seide, ihre Lieblingsfarbe, bauschte sich über
schweren, silbernen Satin. Dazu trug sie farblich passende Schuhe. Kostbare
Brüsseler Spitzen zierten die Ärmel; der Saum des Kleides war mit kleinen
weißen Rosenblüten bestickt, in denen einzelne Silberfäden schimmerten. Am
meisten aber beeindruckte die lange, elegante Schleppe, die hinter ihr her
wirbelte.
»So fühle ich mich
auch«, gestand sie flüsternd. »Trotzdem, vielen Dank, Mylord. Das Kompliment
kann ich nur erwidern. Du siehst umwerfend aus.«
»Und was ist mit
mir?«, ließ sich eine weitere Stimme, die ihres Bruders Justin, vernehmen.
»Sehe ich nicht ebenso gut aus?«
Julianna zog die
Nase kraus. »Ein trauriger Fall bist du«, gab sie zurück, »wenn du dir die
Komplimente bei deiner Schwester holen musst.«
»Kleines Biest«,
zischte Justin.
Ihre beiden
dunkelhaarigen gutaussehenden Brüder nahmen sie in die Mitte und Julianna schob
die mit weißen Spitzen behandschuhten Hände unter ihre Ellbogen. Dreiundzwanzig
Jahre lang hatten Sebastian und Justin sie unter ihre Fittiche genommen und so
gut sie konnten für sie gesorgt, was nicht heißt, dass sie dies gewollt oder
gebraucht hätte, aber sie liebte sie dafür umso mehr.
Justin hob eine
Braue und blickte Sebastian an. »Da es ja normalerweise die Aufgabe der Mutter
ist, die junge Braut angemessen auf ihre Hochzeitsnacht vorzubereiten, nehme
ich an, dass du das Notwendige ... nun, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken
soll ... dass du sie in dieser Hinsicht aufgeklärt hast ...«
»Ich habe Sebastian
gebeten, dir diese Pflicht zu übertragen, lieber Justin. Schließlich bist du
der Mann, der auf diesem speziellen Gebiet große Erfahrung hat.«
Julianna genoss die
seltene Gelegenheit, Justin sprachlos zu sehen.
»Außerdem«, gurrte
sie, »besteht kein Bedarf. Ich rühme mich zwar nicht besonderer Qualitäten,
baue aber auf meine Phantasie - ganz zu schweigen von der Tatsache, dass
ich in jüngeren Jahren eine gewisse Fertigkeit im Türenlauschen erworben habe,
als ihr beide in den Flegeljahren wart. Da habe ich mir, sagen wir, einiges
Wissenswerte angeeignet. Ich würde meinen, dass ich auf diesem Gebiet nicht im
Dunkeln tappe.«
Sebastian reckte
sich zu voller Größe. »Du machst dich nur wichtig!«
»Julianna!«, Sagte
Justin erstaunt. »Das hätte ich dir nicht zugetraut!«
»Jetzt schaut mich
doch nicht so entrüstet an!« Die Brüder schienen dermaßen entsetzt zu sein,
dass Julianna sich das Lachen nicht verkneifen konnte.
Sie ahnte nicht,
dass sie an diesem Tag zum letzten Mal gelacht hatte.
Während die Brüder
noch grollten, wanderte ihr Blick zum Kirchenschiff. Schon als Kind hatte
Julianna davon geträumt, in St.George am Hanover Square zu heiraten, in der
Kirche, die vor fast einem Jahrhundert gebaut wurde, in der der Sohn des
Königs, Prince Augustus, geheiratet hatte. Dank Sebastian wurde dieser
Wunschtraum ihrer Kinderzeit wahr - er hatte darauf bestanden, dass die
Trauung in St.George stattfand.
Julianna war
einverstanden. Es war nicht nur die Erfüllung eines Kindertraums, sondern auch
eine Art Statussymbol für die Stellung in der
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