Die Delegation
fiel senkrecht in das tropische Grün, dieses Hofes. Die Patienten saßen im Schatten, regungslos, apathisch, schweigend. Und das Gittertor zu ihnen stand offen. Kein Aufseher ließ sich blicken, kein Wärter, kein Engel mit dem Flammenschwert. Das Paradies war unverschlossen. Man konnte es verlassen – man konnte es betreten. Wir wanderten unter Palmen und Hibiskus. Der Indio-Frater zeigte uns die Goldfische im Brunnen, monströse Tiere mit häßlichen, weißen Flecken auf ihren aufgedunsenen Bäuchen. Das Wasser der Fontäne war kalt. Der Mönch fing es auf mit den Händen, zeigte uns, es sei klar und frisch, und man könne es trinken. Er pflückte eine Apfelsine vom Baum, reichte sie uns.
Zwei alte Männer starrten uns an mit wirrem Blick. Der Frater lachte, klopfte den beiden auf die Schulter, redete auf sie ein – keine Reaktion. Sie glotzten uns nach. Ich suchte Estrella.
Die Führung ging weiter. Ein Refektorium mit kostbaren Gobelins, mit alten, dunklen Bildern, mit Vitrinen: Kruzifixe und Monstranzen, Kelche, Schreine, Kassetten. Nicht zu taxierende Werte.
Ich hatte immer noch den beißenden Rauch der Slums in der Nase.
»El museo – museo!« – ja, ja, wir verstanden ihn schon, das Museum, die Schatzkammer.
Freunde, macht ein Schild an euer Tor, setzt einen Stern in den Stadtplan, drei weitere in jeden Reiseführer und ihr habt ausgesorgt. Der Strom der amerikanischen Touristen, der dieses Peru ständig überschwemmt, reißt auch bei euch nicht ab. Aber baut eine hohe Mauer vor die Slums!
Es ging nach unten, in die Krypta.
Wir waren nicht die einzigen, die da hinunterstiegen. Eine Familie mit vier halbwüchsigen Töchtern tastete sich vor uns durch dieses düstere Labyrinth. Ein Indio-Knabe in brauner Kutte führte sie. Er war verlegen, vielleicht hatte die Anwesenheit der Mädchen ihn verwirrt.
Er übergab seine Lampe unserem Frater und verschwand. Die Familie wirkte spanisch, das waren keine Touristen. Vielleicht hatten sie gerade einen lieben Verwandten hier abgeliefert, einen ›Patienten‹.
Der Schein der Lampe fiel auf Brunnen, runde Schächte, Zisternen. Der Frater behauptete, sie seien über fünfzig Meter tief. Sie waren versiegt, vor Jahrhunderten schon. Und nun waren sie angefüllt bis zum Rand mit den Gebeinen zahlloser Generationen.
Ein Künstler war da am Werk gewesen: Die Schädel lagen am Rand, sauber ausgerichtet, und blickten zur Mitte. Dort bildeten Beckenknochen eine Rosette. Dazwischen, wie die verwobenen Speichen eines Rades, Rippen und Schenkel. Unter dem Hochaltar der Kirche lag eine Kapelle. Die weißgekalkten Wände zierten anmutige Ornamente aus Rückenwirbeln, Schulterblättern und Fingerknochen. Der Indio-Frater weidete sich an unserem Entsetzen. Er lächelte zufrieden, ließ den Strahl seiner Lampe genießerisch über die bleichen Gebeine wandern. Nur das hysterische Gekicher der halbwüchsigen Mädchen störte ihn. Das füllte so alle Ecken und- Winkel des verzweigten Gewölbes mit seinem Echo. Es steckte an. Die grausige, ehrfürchtige Beklemmung wich. Die Szene wandelte sich zu makaberer Komik. Diese Skelette, waren das alles Mönche? Oder Indios, die sich nicht bekehren lassen wollten? Oder Patienten? Der Frater nahm einen Schädel zur Hand und nickte – -aber er verstand uns nicht.
Der Vater der Mädchen antwortete in spanischem Englisch: »No – all this visitors – todos!« – alles Besucher! Er lachte, die Mädchen kreischten. Damit war die Führung beendet.
Im ersten Stock erwartete uns der Pater Superior. Auch hier wertvolle Gobelins, kostbare Bücher. Wir machten ihm Komplimente, nannten sein Kloster ein einzigartiges Museum, fragten, warum er seine Schätze der Öffentlichkeit vorenthielt.
Er winkte ab. Wer hier Ruhe suche, der solle sie finden. Uneingeschränkte Ruhe. Die Tauben auf dem Vordach schlugen mit Trippelschritten einen nervösen, scharrenden Takt auf das Blech. Der Pater Superior stand auf und verjagte sie mit einer sanften Geste. Unten lag der immergrüne, paradiesische Garten. Der Brunnen plätscherte in steter Verschwendung, gespeist von der einzigen Quelle dieses Berges. Die Patienten saßen wie Puppen und bewegten sich nicht. Das Gittertor stand immer noch offen. Da fragte ich schließlich nach Professor Estrella. Das war offensichtlich kein Thema, das unseren alerten Gastgeber sehr beglückte. Es schien, als habe er plötzlich etwas Saures im Mund.
»Ach, deshalb sind Sie gekommen – deshalb!« Er
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