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Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft

Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft

Titel: Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Falk;Beckedahl Lüke
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Programmierer Alvar Freude und andere im Arbeitskreis Zensur (AK Zensur) befassten sich genauer damit, was es mit dem versprochenen Vorgehen gegen Kinderpornografie im Netz tatsächlich auf sich hatte. Und sie stellten Erstaunliches fest: Wenn man die Betreiber der Rechner, auf denen sich Kinderpornografie findet, anschreibt   – dann löschen sie diese zumeist binnen weniger Stunden. Dabei hatte das Bundeskriminalamt doch immer behauptet, dass Löschen nicht möglich sei. Das war offensichtlich falsch. In aller Regel ist es ja nicht so, dass ein Anbieter von Speicherplatz im World Wide Web, der sogenannte Hosting-Provider, solche Inhalte auf seinen Rechnern sehen möchte. Und wenn er Kenntnis davon erlangt, macht er sich unter Umständen selbst strafbar, wenn er nichts dagegen unternimmt. Aber das Bundeskriminalamt sah sich nicht in der Lage, die Hosting-Provider ausfindig zu machen und anzuschreiben. Ministerin, Ministerium und Bundeskriminalamtflüchteten sich in Scheinargumente: Die betreffenden Anbieter säßen in Ländern, die keine funktionierende Rechtsverfolgung hätten (was nicht stimmt, viele von ihnen sitzen in den USA oder in Europa), Löschen sei nicht möglich und überhaupt   – Sperren sei auf jeden Fall die beste Lösung.
    Doch nicht nur an den genannten Gründen für die Sperrnotwendigkeit gab es Zweifel. Es wurde auch immer wieder die so genannte »Anfix-Theorie« bemüht: Wer im Web auf Kinderpornografie stößt, würde erst dadurch auf den Geschmack gebracht. Für den Wahrheitsgehalt dieser Theorie gibt es kaum Anhaltspunkte. Tatsächlich gehen Wissenschaftler davon aus, dass die »Täter« eine entsprechende Disposition entweder ansozialisiert bekamen (überdurchschnittlich oft sind sie selbst Opfer von Kindesmissbrauch gewesen) oder eine entsprechende Prädisposition, also eine Veranlagung, mitbringen. Und dass viele unglücklich darüber sind und nicht wirklich »Täter« werden wollen, das zeigte sich auch an einem Testangebot des Instituts für Sexualmedizin der Berliner Charité: Hier wurde unter dem Namen »Kein Täter werden« Hilfe für Pädophile angeboten. Statt der erwarteten wenigen meldeten sich mehr als 500   Menschen auf der Suche nach einem Therapieplatz.
    Pädophile sind gesellschaftlich geächtet. Die meisten meiden die Öffentlichkeit, suchen abgeschlossene Zirkel. Sie sind nicht daran interessiert, ihre Orientierung bekannt werden zu lassen. Das trifft auch auf ihr Verhalten im Internet zu. Ursula von der Leyen führte als Grund für ihre Initiative auch an, dass mit dem Stoppschild jene gewarnt würden, die aus Versehen auf kinderpornografische Seiten gelangen würden. Nun ist es aber so, dass Millionen Menschen das Internet benutzen. Und es ist keineswegs so, dass man durch Zufall auf derartige Seiten käme. Schon 1998, als das erste Mal in Deutschland in der Öffentlichkeit über Kinderpornografie im Internet diskutiert wurde, stellte der Journalist Martin Virtel fest, dass die Kinderpornografie-Szene spezielle Sprachcodes verwendet, um sicherzustellen, dass sie unter sich bleibt. Wer diese kennt, findet sie   – wer nicht, der nicht. Das gilt auch für die Ermittlungsbehörden.
    Doch die Gegenargumente fanden in der Debatte kein Gehör. Es klang ja alles so schön logisch und überzeugend für die ahnungslosen Mitbürger. Als der Bundestag mit einer Stimmenmehrheitvon CDU und SPD das Zugangserschwerungsgesetz trotz aller Bedenken verabschiedete, demonstrierten vor dem Brandenburger Tor Internetnutzer mit großen Schildern gegen die aus ihrer Sicht vollkommen verfehlte Internetpolitik: »Von Laien regiert« gehörte zu den netteren Slogans. Berichten zufolge war die Ministerin »not amused« über ihren neuen Spitznamen »Zensursula« und darüber, dass die Einträge zu ihrer Person für die digitale Ewigkeit mit diesem Missgriff in die P R-Kiste verbunden bleiben. Die Internetnutzer waren entsetzt, die Politik hatte sich in ihren Augen als völlig inkompetent dargestellt. Von der Leyen schaffte es, die digitale Meute gegen sich aufzubringen und zu einer der Geburtshelferinnen der Piratenpartei in Deutschland zu werden.
    Nur ein einziger CD U-Politiker hatte gegen das Sperrgesetz gestimmt: Jochen Borchert, ehemaliger Bundeslandwirtschaftsminister. Er hatte gegen die Fraktionsdisziplin gestimmt. Das tun Abgeordnete nur im absoluten Ausnahmefall. Seine Tochter ist eine der bekanntesten deutschen Bloggerinnen, zwischenzeitlich zur Geschäftsführerin des

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