Die Dornen der Rose (German Edition)
Himmel, dass sie noch nicht auf der Guillotine umgekommen waren. Offiziere der Nationalgarde grübelten über die Schwierigkeit nach, für Recht und Ordnung in einer Stadt zu sorgen, ohne dabei versehentlich Männer zu verhaften, die morgen vielleicht an die Macht gelangen könnten.
Und Robespierre war tot.
Es rollten keine Schinderkarren mehr zur Guillotine. Die Nonnen und der Priester des Klosters von Saint-Barthélémy waren in Sicherheit. Sogar Victor würde dem Tod entkommen, wenn keiner ihn bemerkte.
Es war ein guter Tag, um Paris zu verlassen. Die barrières würden nur mit wenigen Mann besetzt sein und die Wächter unsicher und abgelenkt.
Guillaume schob seinen neuen Hut in den Nacken. Vom Stil her war er seinem alten sehr ähnlich, doch er war nicht ganz so abgetragen. Hawker blieb an der Ecke stehen, um zu sehen, ob die Luft rein war. Er sah Justine als Erster. Sie saß auf den Stufen eines Hauses und hatte die kleine Séverine auf dem Arm. Sie hob das Kinn, als sie sich näherten.
»Ich wünsche euch einen guten Tag, Bürger. Es ist ein schöner Tag, um ein bisschen spazieren zu gehen, nicht wahr?«
»Ein sehr schöner Tag«, erwiderte Guillaume freundlich. »Du hast auf uns gewartet?«
»Eigentlich auf Marguerite, aber die Sache könnte auch Sie interessieren.«
Es musste sich schon um etwas Wichtiges handeln. Denn wenn es jeden Moment zum Aufruhr in der Stadt kommen könnte, würde Justine nicht einfach loslaufen, um ihnen auf Wiedersehen zu sagen. Und sie würde auch das Kind nicht mitbringen.
Séverine hatte sich schläfrig auf Justines Schoß zusammengerollt. Sie trug ein Kleidchen aus bedruckter Baumwolle. Justine, in dunklem Serge, wirkte wie ein Kindermädchen, das auf das Kind ihrer Herrin aufpasste.
Séverine setzte sich auf. »Justine hat gesagt, Sie würden mir Geschichten erzählen.«
»Vielleicht eine.« Wenn die Zeit dafür reichte. Wenn Justine ein Stück Wegs mit ihnen ging.
»Sie mag Sie«, erklärte Justine unvermittelt. »Sie ist sehr klug. Sie kann sogar schon ein bisschen lesen. Und ich habe angefangen, mit ihr Englisch zu sprechen, als sie noch ganz klein war. Sie kann es ein bisschen. Auch ein wenig Deutsch, obwohl meine Aussprache nicht gut ist.«
»Sie ist ein reizendes Kind.«
»Ja, nicht wahr?« Noch nie hatte sie Justine zaghaft oder unsicher erlebt, doch jetzt war sie es. »Sie ist auch noch nie krank gewesen. Nicht einmal, als sie klein war. Egal, wo wir lebten oder was wir essen mussten, sie war immer … stark und froh. Nie hat sie sich beschwert und war immer lieb.«
»Das kann ich bestätigen. Sie kam gleich am ersten Tag auf den Speicher, als ich dort war und es mir so schlecht ging. Sie hat mich getröstet.«
Justine strich ihrer Schwester übers Haar, hob sie dann hoch und reichte sie ihr. »Sie kann wunderschön singen. Keiner hat es ihr beigebracht, aber sie kann es trotzdem.«
Séverine duftete nach Lavendel, frisch gestärkter Kleidung und Himbeergelee. Dieses Kind zu halten ist ein schöner Moment, an den ich mich immer erinnern werde.
Justine schlang die leeren Arme um sich. »Sie hatten recht. Ein Bordell ist nicht das richtige Zuhause für ein Kind. Frankreich ist auch nicht der richtige Ort für sie. Es wird Krieg geben.«
»Ich fürchte, damit hast du recht.«
Justine sah sie mit entschlossenem Blick an. »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich Sie einmal um einen Gefallen bitten würde. Als Dank dafür, dass ich dem da«, ihr Ton wurde etwas verächtlich, als sie kurz Guillaume ansah, »das Leben gerettet habe. Ich habe ihn mehrmals verschont und einmal dabei geholfen, ihn zu retten. Erinnern Sie sich?«
»Ja, natürlich«, erwiderte sie.
Guillaume sagte nichts. Er sah Justine nur an.
»Das erbitte ich als Gegenleistung: Sie nehmen Séverine auf, als wäre es Ihr eigenes Kind. Sie bringen sie aus Frankreich weg und sorgen für ihre Sicherheit. Sie werden für sie sorgen. Sie selbst.«
Ja! Und dann: Nein, das kann nicht richtig sein . Sie zog Séverine an sich. Das Kind lag angenehm schwer in ihren Armen. Es fühlte sich richtig an.
»Sie wird unterwegs keine Schwierigkeiten machen.« Justine sprach jetzt ganz schnell. »Sie hat gelernt, ruhig zu sein. Sie wird bereitwillig mit Ihnen mitgehen, wenn ich ihr sage, dass sie muss. Sie kann schweigen und hat gelernt, auf jeden Namen zu reagieren, den man ihr gibt. Sie können sie überall lassen, und sie wird auf Sie warten. Einen Tag oder sogar noch länger, wenn es sein muss. Sie …«
»Du
Weitere Kostenlose Bücher