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Die Dornen der Rose (German Edition)

Die Dornen der Rose (German Edition)

Titel: Die Dornen der Rose (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bourne
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hohe Stiefel, genau das Richtige für strapaziöse Reisen. Die Hände steckten schwer und regungslos im Bund seiner Hose. Breitbeinig stand er da und verströmte nachdenkliche Ruhe.
    Er hätte ein Soldat sein können, der den Blick über die eingenommene Stadt schweifen ließ, die er dem Erdboden gleichmachen wollte. Oder ein Bauunternehmer, der die Reste einer römischen Villa begutachtete und das Gewicht der Marmorblöcke abschätzte, die er wegzuschaffen und zu verkaufen gedachte. Während sie ihn beobachtete, zog er den Hut vom Kopf und klatschte damit gegen den Oberschenkel – eine Geste, die große Entschlossenheit ausstrahlte. Ein Ausdruck gewaltiger Kraft, die er ohne Probleme im Griff hatte.
    Das gefällt mir ganz und gar nicht .
    Er trug nichts, an dem sie ihn als Boten von Krähe hätte ausmachen können. Ein rotes Band mit einem Knoten oder irgendein Stück verknoteten roten Stoffs hätte schon genügt. Er war lediglich ein fremder Eindringling, der für sie ohne Bedeutung war.
    Ihr habt hier nichts zu suchen. Verschwindet .
    Das tat er natürlich nicht. Er setzte seinen Hut wieder auf, zog ihn tief ins Gesicht und schlug den Mantelkragen hoch. Dann drehte er sich langsam um, wobei sein Blick über Meierei und Wagenschuppen glitt. Aus dieser Entfernung konnte sie seine Gesichtszüge nicht erkennen. Im trüben Grau des Tageslichts war sein Gesicht mit den hohen flachen Wangenknochen, dem von Bartstoppeln verdunkelten Kinn und der ausgeprägten Nase nur zu erahnen. Sein Haar war braun und hing ihm zottig bis in den Nacken.
    Wäre er einem Märchen entsprungen, dann als Riese und nicht als Prinz. Riesen waren gefährlicher als Prinzen.
    Das hatte man nun davon, wenn man wie feuchtes Moos an den Steinen des Châteaus klebte. Sie hatte sich nicht aufgemacht, um den Gefahren auf der Straße nach Paris zu trotzen, und so war die Gefahr jetzt zu ihr gekommen und hatte sie bis vor ihre eigene Tür verfolgt. Sie war wie der Mann, der in seinem verzweifelten Bestreben, dem Tode zu entrinnen, den ganzen Weg von Bagdad bis nach Samarkand gerannt war. Am Ende hatte der Tod ihn trotzdem ereilt, weil sein Schicksal es so gewollt hatte.
    Der Fremde drehte eine Runde um die Nebengebäude. Als er den Stall erreichte, schien er sie einen Moment lang direkt anzusehen. Die Intensität seines Blickes raubte ihr den Atem. Wohl wissend, dass man sie nicht sehen konnte, dass die Schatten sie verhüllten, verharrte sie in absoluter Regungslosigkeit.
    Sein aufmerksamer Blick wanderte weiter. Zur Steinmauer, hinter der sich der Garten mit dem Fischteich verbarg. Zu dessen hoher, offen stehender Gittertür. Zu den Gemüsepflanzen des dahinterliegenden Gartens, dessen Tor ebenfalls offen stand. Vielleicht gab es beim Pöbel und unter Plünderern ja irgendein ungeschriebenes Gesetz, dass man Türen nicht hinter sich schloss.
    Unter einem endlosen Schwall von Flüchen band der Dienstjunge die Esel an einen Pfosten. Ein verräterischer Wind trug die Worte zu ihr. »Eselshaxen in Butter. Esel en croûte . Eselsuppe. Ihr wartet hier einfach.«
    Er sprach mit dem Akzent der Gascogne. Außerdem sah er mit den dunklen Haaren und der glatten, dunklen Haut Südfrankreichs aus wie jemand, der von dort stammte. Ein Diener, der meilenweit weg von zu Hause war.
    Da Herr und Diener mit ihren eigenen Anliegen beschäftigt waren, könnte sie sich durch die Hintertür aus dem Stall Richtung Gartenhaus stehlen, indem sie so tat, als wäre sie etwas, dem Beachtung zu schenken sich nicht lohnte. Ein Igel vielleicht. Sie könnte aber auch einfach abwarten. Vielleicht würden die beiden, sobald sie endlich damit fertig waren, das Château anzustarren, sich trollen und nach einem wärmenden Feuer und trockenen, bequemen Betten im Dorf Ausschau halten. Sie könnte aber auch auf den Heuboden klettern und sie von da aus beobachten. Denn es bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass die beiden sich durch eine der Parolen zu erkennen gaben.
    Sie könnte aber auch weiterhin einfach wie ein Trottel dastehen. Die Möglichkeiten, die in ihrem Innern miteinander fochten, hätten ein ganzes Schlachtfeld füllen können.
    »Hier liegen überall Glasscherben herum«, sagte der Große. »Pass auf deine Füße auf. Und lass die Esel draußen.« Eine bretonische Stimme. Dieser Mann stammte aus der ältesten, der am wenigsten kultivierten Provinz Frankreichs.
    Er machte sich nicht daran, die Ruinen zu durchstöbern, sondern dachte gründlich über das nach, was er da sah.

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