Die drei Ausrufezeichen 45 - Tatort Geisterhaus
blühten, als wollten sie es nicht wahrhaben, dass der Sommer eigentlich schon zu Ende war.
»Papa muss wirklich bald mal herkommen und den Rasen mähen«, sagte Franzi. »Das hat er schon seit Wochen vor, aber es kommt immer etwas dazwischen.«
»Sollen wir drinnen kurz nach dem Rechten sehen, wo wir schon mal hier sind?«, fragte Kim.
Franzi stellte die Gießkanne ab und zog nachdenklich die beiden Haargummis fest, die ihre roten Zöpfe zusammenhielten. Sie sah zu den schmutzigen Fenstern empor, hinter denen die leere Stille von Oma Lottis Haus lauerte. Im Küchenfenster, wo früher immer ein frischer Blumenstrauß gestanden hatte, prangte jetzt gut sichtbar das ZU-VERKAUFEN -Schild mit der winklerschen Telefonnummer. Da bisher kein einziger Interessent angerufen hatte, waren Franzis Eltern zu dem Entschluss gekommen, es nun mit einer Immobilienanzeige im Internet zu versuchen.
»Nein, ich glaube, ich will lieber nicht ins Haus.« Franzi zögerte. »Ohne Oma Lotti ist es einfach nicht dasselbe.«
Kim nickte langsam. »Das kann ich gut verstehen. Es ist schwer vorstellbar, dass bald andere Leute hier leben werden.« Aber es war mehr als das. Ohne Lotti Winkler hatte das Haus seine Seele verloren. »Ich schau mal nach, wie weit Michi ist.« Kim drückte kurz Franzis Arm, dann marschierte sie um die Hausecke in den rückwärtigen Teil des Gartens. Am besten, sie machten sich zügig auf den Heimweg, sobald Michi mit den Fotos fertig war, damit Franzi nicht noch trauriger wurde.
Aber hinter dem Haus war niemand. Der Garten lag bereits im Schatten des Waldes, der direkt an den Zaun grenzte. Er wurde Märchenwald genannt und viele alte Legenden rankten sich um ihn. Wie stumme Wächter ragten die hohen Bäume hinter dem Garten auf und zwischen ihren Stämmen sammelte sich bereits die Dunkelheit. Eine kühle Brise ließ das lange Gras rascheln. Kim fröstelte und schlang beide Arme um den Oberkörper.
»Michi?«, rief sie leise und ärgerte sich, weil ihre Stimme so unsicher klang. Sie konnte sich die Angst, die sie auf einmal überkam, nicht erklären. Es war später Nachmittag und dies war Oma Lottis Garten. »Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten«, sagte Kim laut, um sich selbst Mut zu machen.
Sie beschloss, zu den anderen zurückzugehen. Als sie sich zum Haus umdrehte, fiel ihr Blick auf eins der Fenster im oberen Stockwerk. Ein letzter Sonnenstrahl ließ die schmutzige Scheibe aufblitzen. Kim zuckte zusammen. Was war das? War da nicht eine Bewegung gewesen? Sie trat einen Schritt zurück und meinte, einen Schatten hinter der Scheibe wahrzunehmen. Aber dann versank die Sonne endgültig hinter dem Wald und das Fenster starrte dunkel und trübe auf Kim herab, als wäre es fest entschlossen, sein Geheimnis nicht preiszugeben.
Kim schüttelte den Kopf. »So ein Unsinn«, murmelte sie. »Wahrscheinlich hab ich mir alles nur eingebildet.«
Sie versuchte, die Gänsehaut zu ignorieren, die sich auf ihren Armen ausgebreitet hatte, und hastete mit gesenktem Kopf um die Hausecke. Plötzlich stieß sie mit jemandem zusammen und schrie auf.
»Immer mit der Ruhe, ich bin’s doch nur«, sagte eine vertraute Stimme.
Kim blickte auf. »Michi!«
Michi grinste. »Wen hast du denn erwartet?« Er wurde ernst. »He, was ist los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
Kim lächelte gequält. »Nein, ich hab nur …« Sie winkte ab. »Vergiss es, meine Fantasie hat mir einen Streich gespielt, nichts weiter.«
Michi legte den Arm um Kims Schultern und drückte sie sanft an sich. »Das wundert mich gar nicht. Ich kenne niemanden, der so viel Fantasie hat wie du. Darum wirst du später bestimmt auch eine supererfolgreiche Autorin.«
Michis Nähe beruhigte Kim augenblicklich. Ihr Herzschlag normalisierte sich wieder und die Gänsehaut verschwand. Sie verzog das Gesicht. »Das erinnert mich daran, dass ich schon ewig keine Schreibübung mehr gemacht habe. Wenn ich weiter so faul bin, kann ich meine Schriftstellerinnen-Karriere vergessen.«
Es war schon lange Kims Traum, irgendwann eine berühmte Krimiautorin zu werden. Früher hatte sie regelmäßig Kurzgeschichten geschrieben, aber seit sie den Detektivclub gegründet hatte, fehlte ihr meistens die Zeit dazu.
»Du schaffst das schon«, sagte Michi zuversichtlich, während sie eng umschlungen zur Vorderseite des Hauses schlenderten.
»Da sind ja unsere zwei Verliebten!« Marie stand neben ihrem Fahrrad und strich sich grinsend eine lange, blonde Haarsträhne
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