Die drei Hellwang-Kinder
erfolgreicher sein können, was die pekuniäre Seite seines Berufes betraf, wenn er sich dazu verstanden hätte, mehr zu veröffentlichen, denn seine zumeist historischen Arbeiten und Romane kamen beim Publikum ausgezeichnet an und erzielten auch hohe Auslandsauflagen. Aber er war zu gründlich in den Vorstudien zu seinen Arbeiten, zu kritisch gegen das Wort, zu gewissenhaft gegen die Geschichte. Sein Verleger Vollerthun mußte ihm die Manuskripte durch Luisa aus den Händen reißen lassen oder dieses gewaltsame Geschäft bei seinen Besuchen im Hause >Gode Wind< selber besorgen. Seiner eigenen Meinung nach hatte Hellwang nur unreife, roh behauene Bücher veröffentlicht. Wie sollte er jetzt jemals fertig werden?
Es klopfte. Er richtete sich auf und strählte sich das verwühlte Haar aus der Stirn. Es war Kathi. Sie brachte ihm den Kaffee.
»Sie sollten ihn doch warm stellen, Kathi!« rief er ungehalten und trommelte mit den Fingerspitzen einen Wirbel auf die Schreibtischplatte.
»Ha«, sagte sie ungerührt und nicht im mindesten beeindruckt, »damit er nach drei Stunden noch dasteht, und Sie haben ihn nicht angerührt!« Sie stellte das Tablett auf den Schreibtisch, schob ihm den Teller mit drei Schnitten goldgelbem, knusprigem Streuselkuchen hin und schenkte in die bauchige weiße Tasse ein. Hellwang ergab sich wortlos in die Vergewaltigung.
»So, aber nun essen Sie auch, Herr Doktor! Daß mir da nichts zurückbleibt!« befahl Kathi energisch. Sie sprach mit Konrad Hellwang nur Schriftdeutsch, was in ihrem Munde eine komische Verfärbung der Vokale und Diphthonge ergab. Es war für Hellwang, der seit seinem ersten Semester in München lebte und Bayern seine Wahlheimat nannte, geradezu aufreizend, so hartnäckig als Preuße angesehen und behandelt zu werden. Mit den Kindern sprach Kathi unverfälscht und — was die Kraftausdrücke anbetraf — fast zu unverfälscht bayerisch. Auch zu Luisa, die als gebürtige Kielerin für Kathi doch nun gewiß aus dem nördlichsten Norden stammte, hatte sie seltsamerweise in der Mundart gesprochen.
Kathi wollte mit dem Tablett wieder verschwinden, aber Hellwang hielt sie durch eine Kopfbewegung zurück. »Ach, Kathi«, murmelte er und spülte den Bissen, den er im Munde hatte, mit einem Schluck Kaffee hinunter, »da ist noch etwas, was ich gern mit Ihnen besprechen wollte...Es handelt sich um eine Sache, die ich gerade mit Frau Professor Bendig verabredet habe... «
Kathi stemmte das Tablett in die Hüfte und blieb vor der Tür stehen, blau-weiß gewürfelt, gewaltig vor dem weißen Hintergrund der Tür und in ihren weißen Rahmen gespannt, ihre fraulichen Rundungen gingen überall weit über irdische Maße hinaus...
»Bütte...?« fragte sie mißtrauisch, als könne von der Frau Professor nicht allzuviel Gutes kommen, und gleichzeitig mit einem Ausdruck in ihrem runden Gesicht, als hätte sie auf diesen Anfang schon lange gewartet. Der König war tot, aha, nun stürzte also auch sein Minister...
»Nein, Kathi«, rief Hellwang und schüttelte den Kopf, als läse er ihr die Gedanken von der Stirn ab, »es ist wegen der Kinder, hm, ja...«
»Und was ist nachher mit den Kindern?« fragte Kathi kühl abwartend, »laufen sie vielleicht schlampig herum, oder kriegen sie nicht genug zu essen, ha?«
»Aber nicht doch, Kathi, darum geht es ja gar nicht! Es geht um ihre Erziehung...« (Um Gottes willen, jetzt keine Silbe von der Hausdame!) »Wissen Sie, Kathi, ich habe nämlich beschlossen, da wir ja jemand haben müssen, der die Kinder beaufsichtigt und ihre Schularbeiten überwacht — Britta lernt ja schon Englisch, nicht wahr —, nun, da habe ich mich also dazu entschlossen, eine Dame ins Haus zu nehmen, die die Erziehung der Kinder übernimmt und die nebenbei auch Sie, liebe Kathi, ein wenig entlastet...«
Er stotterte furchtbar, und das >liebe Kathi< hätte er besser weglassen sollen, denn Kathis schon halb eingeschläfertes Mißtrauen flackerte bei diesen Schmeicheltönen wieder auf: »Z’wegen meiner hätten Sie sich nicht bemühen brauchen, Herr Doktor«, sagte sie abweisend, und mit einem verkniffenen Zug um die Mundwinkel fragte sie: »Und Überhaupts, seit wann sagt man auf ein Kinderfräulein Dame?«
»Nun«, antwortete Hellwang gewunden und rutschte unruhig auf der ledernen Sitzfläche seines Armstuhles herum, »ich dachte weniger an ein Kinderfräulein als vielmehr an eine ältere, reife Person, vor der die Kinder Respekt haben — sagen wir mal, eine Erzieherin.
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