Die drei Lichter der kleinen Veronika
– der Maskentanz des Lebens beginnt. Aber wenn es Karneval ist, dann ist es Winter geworden, nicht wahr? Der Sommer der Kinderzeit ist vergangen, und manche Blume im Garten der Jugend ist verblüht.
So war es auch mit der kleinen Veronika gewesen, als sie größer wurde, und der Karneval des Lebens sie mit leisen, sehnsüchtigen Stimmen in seinen bunten Reigen rief. Sie war nun vierzehn Jahre alt, und es war über manchem Herbst und Winter geworden, was einmal im Frühling und Sommer geblüht. Auch Mutzeputz war hinübergegangen in eine andere Welt, und es war dies der schwerste Tag gewesen, den die kleine Veronika bisher erlebt. Zum ersten Male hatte sie in der Bewußtheit ihrer Seele ein Grab geschlossen, und sie wußte es: Was dieses kleine Grab barg, war der liebste Freund ihrer Kindheit und mit ihm die eigene Kinderzeit. War dies nun ein Ende oder war es der Anfang zu etwas Neuem und Unbekanntem? Ach, kleine Veronika, das Leben endet immer etwas und beginnt etwas anderes, und doch endet und beginnt es eigentlich nie, denn es ist zeitenlos und das, was wesentlich ist, wandert mit uns durch alle Tage und Stunden, die glücklichen und die traurigen. Und wenn wir ein Grab schließen, so bauen wir damit eine Brücke in jene Welt. Es werden von Jahr zu Jahr immer mehr solcher Brücken, und zuletzt gehen wir selbst über unsere vielen in Tränen gebauten Brücken hinüber, um zu vergessen, daß wir einmal um sie geweint. Die Tränen sind ja der Preis für die geistigen Welten, alles Erkennen wandelt durch Leid zum Licht, und die eine große Antwort, auf die wir hoffen, verlangt es, daß man mit tausend bangen Fragen nach ihr fragt.
Es war auch eine bange Frage, welche die kleine Veronika bewegte, als sie dem Spielgefährten ihrer Kindheit den kleinen Totenkranz wand.
»Onkel Johannes«, sagte sie, »glaubst du, daß es Mutzeputz gut geht und daß ich ihn wiedersehe? Ich denke mir, daß auch die Tiere weiterleben müssen wie die Menschen.«
Johannes Wanderer war still und traurig. Er hatte ja auch an Mutzeputz gehangen, und ihm waren Menschen und Tiere gleich nahe Geschöpfe. Nur kleine Seelen haben den Dünkel ihrer vermeintlichen menschlichen Hoheit über das Tier.
»Ich glaube gewiß, daß es Mutzeputz sehr gut geht, Veronika«, meinte Johannes Wanderer, »er ist im Garten Gottes, wie alles, was lebt. Es ist nur meist so, daß es bei den Tieren um einiges weniger bewußt und persönlich ist als bei den Menschen. Sie gehen noch mehr zurück in eine Gesamtheit, aber auch dieses alles sind Stufen, und sie sind schwer faßbar für ein menschliches Begreifen. Es sind ja auch viele Menschen noch wenig bewußt und leben ähnlich wie die Tiere, im Mutterleib einer Gruppe gebettet, eines Volkes, eines Stammes oder einer Familie. Nur starke Geister schaffen schon über diesen Rahmen hinaus am kommenden Menschentum. Der Weg geht langsam aufwärts, Veronika. Auch ein Kind im Mutterleibe ist ein Ich, aber es ist noch nicht erwacht. Doch es ist heute eine Zeitenwende, und die Tiere erwachen nun immer mehr aus dem Mutterleib ihrer Gruppe und streben immer weiter ins Bewußte hinein. Darum ist es so sehr wichtig, daß die Menschen sie als ihre Geschwister betrachten. So müssen wir alle gemeinsam in eine Welt hineinwachsen, die besser und glücklicher ist, als das Dasein von heute. Diese Welt müssen wir bauen und bereiten helfen, und in ihr wird für Menschen und Tiere alles bewußter und lichter sein.«
»Ich will aber Mutzeputz wiedersehen«, beharrte Veronika.
»Das wirst du gewiß«, sagte Johannes Wanderer, »sieh einmal, es sind zum Beispiel nicht alle Löwen schon zu ihrem Ich erwacht, sie kommen aus ihrer Gesamtheit und gehen in sie zurück, wie auch viele Menschen noch keine Persönlichkeiten sind. Nur wandeln die Menschen von einer Volksseele zur anderen, und die Löwen bleiben beim Muttergedanken des Löwen. Aber als der Löwe des heiligen Hieronymus hinüberging, war er wohl so persönlich geworden in der Liebe des Heiligen, daß er nicht ganz in den Muttergedanken des Löwen zurückkam. Er blieb, was er bei seinem Heiligen wurde, er folgte ihm weiter und schafft nun bewußt an der Wesenheit der Löwen im Garten Gottes. Es ist das alles schwer und mühsam mit menschlichen Worten zu erklären, aber so ähnlich wie mit dem Löwen des heiligen Hieronymus ist es mit allen Tieren, die viel Liebe empfangen und geben konnten, sie bleiben wohl bei ihrer Mutterseele, aber bewußter in Liebe und Licht und als Helfer für
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