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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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wenn er so redet, so redet er von unserer Schuld. Wir können das gut verstehen, und wir sind sündige Menschen. Es tut uns auch sehr leid, wollten wir sagen.«
    »Wir wollen es uns doch nicht schwerer machen, als es ist«, sagte Pastor Haller, »es ist mir schwer genug, aber wir müssen jetzt ehrlich und wahr sein, und es ist gewiß am besten so, wie ich es euch vorgeschlagen habe – für euch am besten, denn daß es für euch am besten sei, dafür muß ich sorgen, so gut ich es kann. Dann bin ich zum friedvollen Ende doch noch einmal wirklich der Pfarrer von Halmar gewesen.«
    Eriksen drehte seinen Hut weiter.
    »Wir wollen den Herrn Pastor bitten, daß der Herr Pastor bei uns in Halmar bleibt. Dazu stehen wir hier. Wir wissen es auch, daß wir keinen besseren Pastor in Halmar bekommen können. Darum muß der Herr Pastor in Halmar bleiben.«
    Harald Haller kämpfte mit einer ungeheuren Bewegung.
    »Ich danke euch viele Male«, sagte er, »ich werde das tun.«
    Am nächsten Morgen war die Kirche zu Halmar übervoll. Es war kein einziger Platz mehr darin zu finden. Pastor Haller sprach, wie er bisher noch niemals gesprochen hatte. Er sprach vom Licht, das in der Finsternis leuchtet, er sprach von den Wundern, die sich Tag um Tag ereignen für den, der sie zu schauen gelernt hat, und er sprach davon, daß einer dem anderen die Bürde tragen helfe, wie es Christus getan und wie es Christus noch heute tue.
    Es war sehr still in der Kirche zu Halmar, und als Pastor Haller hinausging, reichten ihm viele die Hand, die ihn erreichen konnten.
    Dann wandte er sich und ging allein nach Hause. Aber er war nicht allein. Jemand sprach neben ihm, oder es war, als ob ein anderer in ihm redete.
    »Du weißt es nicht, wer mit dir spricht«, sagte die Stimme, »weil du niemand siehst. Aber du weißt es ja nun, daß die Unsichtbaren so wirklich sind wie die Sichtbaren. Es ist die graue Frau aus dem Hause der Schatten, die mit dir geht. Ich will dir danken, Harald Haller, denn es ist heute hell geworden in der Kirche zu Halmar und hell in vielen, die sich danach gesehnt. Du freust dich, daß deine Kirche gefüllt war, aber sie war noch viel voller, als du es denkst. Es waren nicht nur die Lebenden um dich, sondern auch die Toten waren heute in der Kirche zu Halmar, ich und viele andere. Wir werden nun über die Schwelle gehn können in eine andere Welt, denn es ist hell um uns geworden, und wir sehn den Weg.«
    Da war es Harald Haller, als habe er heute zum ersten Male Gottesdienst gehalten.
    Es war an demselben Sonntag, daß Aron Mendel durch die Gassen von Halmar schritt. Er ging hoch aufgerichtet, wie noch nie zuvor, und er trug seine mühsame Last auf dem Rücken, als wäre sie nur ein Spielzeug. Die Menschen wunderten sich darüber, er aber sagte ihnen, daß er nun nicht mehr wiederkommen werde. Und er ging aus Halmar hinaus nach dem Hause der Schatten und zu Johannes Wanderer.
    »Ich werde nun nicht mehr pilgern müssen, Johannes«, sagte er, »es ist ein Zeichen geschehen, das es so will und das sehr wunderbar ist. Es war vor wenigen Tagen, als ich meinen Kasten auf der staubigen Straße schleppte, daß er mit einem Male so leicht wurde, als habe ihn jemand mir abgenommen. Es ist nun keine Bürde mehr, die ich trage um den zerstörten Tempel. Gott ist versöhnt, und er will nicht, daß ich weiter für die kleine Rahel sühnen soll. Ich will nach Hause gehen und will mit ihr spielen in meinen letzten Tagen.«
    »Ich freue mich sehr darüber«, sagte Johannes Wanderer, und er dachte an Veronikas Traum. »Es ist auch sonst ein seltsamer Sonntag heute, Aron Mendel. Es waren Lebende und Tote in der Kirche zu Halmar und haben Gottesdienst gehalten. Denn es ist in der Kirche zu Halmar hell geworden, und wir wollen glauben und hoffen, daß es überall hell wird, Stufe um Stufe – dann wird der zerstörte Tempel wieder erbaut.«
    »Johannes, können Sie mir nicht sagen, wer mir den schweren Kasten abgenommen hat?«
    »Das muß ein jeder selbst für sich ergründen, Aron Mendel, aber ich denke mir, es ist jemand gewesen, der wie kein anderer es verstanden hat, daß Sie Ihre Bürde getragen haben aus Liebe zur kleinen Rahel.«
    »Dann muß es ein großer und guter Geist sein, Johannes.«
    »Das ist er gewiß«, sagte Johannes Wanderer.
    Ihr, die ihr heute atmet, denkt daran und zündet Lichter an für die Lebenden und für die Toten.

8. Karneval
    Die Geigen singen, die Flöten locken und durch fernen Trommelwirbel klingen die Schellen

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