Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Druss.
»Du kannst gut mit der Axt umgehen, das muß ich wirklich sagen.« Bress ging ein paar Schritte; dann drehte er sich noch einmal um. »Falls sie dich verstoßen, mein Sohn, bist du nicht allein. Ich gehe mit dir.«
Druss nickte. »Dazu wird es nicht kommen. Ich habe Rowena bereits versprochen, mich zu bessern.«
»Ich wette, sie war wütend«, sagte Bress grinsend.
»Schlimmer. Sie war enttäuscht von mir.« Druss lachte leise. »Die Enttäuschung einer frischgebackenen Ehefrau ist spitzer als die Zähne einer Schlange.«
»Du solltest öfter lachen, mein Junge. Es steht dir.«
Doch als Bress davonging, wich das Lächeln aus dem Gesicht des jungen Mannes. Er blickte auf seine aufgeschlagenen Fingerknöchel und erinnerte sich an das Gefühl, das in ihm aufwallte, als er Alarin schlug. Es war Zorn gewesen und der wilde Wunsch, zu kämpfen. Doch als seine Faust im Gesicht des Gegners landete und Alarin stürzte, war da nur ein Gefühl gewesen, kurz nur, doch unbeschreiblich mächtig.
Freude. Pures Vergnügen, von einer Art und einer Kraft, wie Druss es noch nie erlebt hatte. Er schloß die Augen und verbannte die Szene aus seinen Gedanken.
»Ich bin nicht wie mein Großvater«, sagte er zu sich selbst. »Ich bin nicht verrückt.« In dieser Nacht sprach er diese Worte zu Rowena, als sie in dem breiten Bett lagen, das Bress ihnen als Hochzeitsgeschenk gezimmert hatte.
Sie drehte sich zu ihm herum und lehnte sich an seine Brust. Ihr langes Haar fühlte sich an seiner kräftigen Schulter wie Seide an. »Natürlich bist du nicht verrückt, mein Liebster«, erwiderte sie. »Du bist einer der sanftesten Männer, die ich kenne.«
»Die anderen sehen mich nicht so«, erwiderte er und strich ihr übers Haar.
»Ich weiß es. Es war falsch von dir, Alarin so zu verprügeln. Es waren nur Worte – und es spielt überhaupt keine Rolle, ob er sie unfreundlich gemeint hat. Es waren lediglich … Geräusche.«
Druss schob sie sanft von sich und setzte sich auf. »So einfach ist das nicht, Rowena. Der Mann hat mich seit Wochen gereizt. Er wollte diesen Kampf – weil er mich demütigen wollte. Aber das hat er nicht geschafft. Kein Mann wird das jemals schaffen.« Sie schauderte. »Frierst du?« fragte er und zog sie in seine Arme.
»Todeswanderer«, flüsterte sie.
»Was? Was hast du gesagt?«
Ihre Augenlider flatterten. Sie lächelte und küßte ihn auf die Wange. »Nicht wichtig. Laß uns Alarin vergessen. Freuen wir uns einfach, daß wir zusammen sind.«
»Ich werde mich immer darüber freuen«, sagte er. »Ich liebe dich.«
Rowenas Träume waren düster und schwer, und am nächsten Tag am Fluß konnte sie die Bilder nicht verdrängen. Druss, gekleidet in Schwarz und Silber, mit einer mächtigen Axt, stand auf einem Berg. Aus der Klinge der Axt kam eine große Schar von Seelen hervor, die wie Rauch um ihren grimmigen Mörder flossen. Todesbringer! Die Vision war sehr kraftvoll gewesen. Rowena preßte das letzte Wasser aus dem Hemd, das sie wusch, und legte es über einen flachen Stein neben die trocknenden Decken und die gewaschenen Wollkleider. Dann streckte sie sich und ging zum Waldrand, setzte sich und umfaßte mit der rechten Hand die Brosche, die Druss ihr in der Werkstatt seines Vaters gefertigt hatte – weiche Kupferdrähte, die einen Mondstein umgaben, neblig und durchscheinend. Als Rowenas Finger den Stein berührten, schloß sie die Augen, und ihre Gedanken klärten sich. Sie sah Druss allein am Fluß sitzen.
»Ich bin bei dir!« flüsterte sie. Doch er konnte sie nicht hören, und sie seufzte.
Niemand im Dorf wußte von ihrer Gabe, denn Voren, ihr Vater, hatte ihr eingeschärft, daß dies unbedingt ein Geheimnis bleiben müsse. Erst im vergangenen Jahr waren vier Frauen in Drenan der Zauberei überführt und von den Priestern Missaels bei lebendigem Leib verbrannt worden. Voren war ein vorsichtiger Mann. Er hatte Rowena in dieses abgelegene Dorf gebracht, weit weg von Drenan, denn, wie er sagte: ›Geheimnisse können in einer Menschenmenge nicht in Ruhe leben. Die Städte sind voll forschender Augen und lauschender Ohren, rachsüchtiger Hirne und boshafter Gedanken. In den Bergen bist du sicherer‹.
Sie hatte ihm versprechen müssen, niemandem von ihren Fähigkeiten zu erzählen. Nicht einmal Druss. Rowena bedauerte dies Versprechen, als sie ihren Gatten mit den Augen des Geistes betrachtete. Sie konnte in seinen groben Zügen keine Härte sehen, keine wirbelnden Gewitterwolken in den
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