Die dunkle Armee
nur, weil Ihr im Angesicht des Feindes den Mut verloren habt.«
»Ihr wart nicht da, Schatzkanzler Jhered. Sie hätten Haroq in Schutt und Asche gelegt, ohne auch nur ins Schwitzen zu geraten.«
Jhered betrachtete ihn beinahe mitleidig. Obwohl seine Haare überwiegend grau und infolgedessen äußerst kurz geschnitten waren, wirkte er immer noch stark und tatkräftig. Er musste inzwischen an die sechzig Jahre alt sein. In seinem Gesicht zeichneten sich Falten ab, die man aber keinesfalls als Beweis nachlassender Kräfte auffassen durfte. Nicht bei diesem Mann.
»Ihr habt es immer noch nicht verstanden, was?«, sagte Jhered. »Wir waren damals und sind heute noch eine geeinte Konkordanz. Es kommt vor, dass jemand sterben muss, um die anderen zu retten. Ihr habt allerdings die Welt außerhalb von Atreska keines Blickes gewürdigt.«
»Sprecht nicht so herablassend mit mir, Jhered.«
»Ihr und Euer Volk hätten für die Konkordanz sterben müssen, als die Tsardonier vor Euren Toren standen. Stattdessen seid Ihr eingeknickt und habt ihren Lügen über Befreiung Gehör geschenkt. Wenn das, was ich sah, als ich durch Euer schönes Land ritt, eine Befreiung ist, dann wäre ich lieber ein Sklave. Jede Stunde, die Ihr sie aufgehalten hättet, hätte dem Rest der Konkordanz Zeit gegeben, die Verteidigung besser zu organisieren. Nach dem Sieg hätten wir dann auch die Kraft gehabt, Atreska an Ort und Stelle zurückzugewinnen.«
»Sie hätten uns in Stücke gerissen«, erwiderte Yuran und war sich bewusst, dass es beinahe weinerlich klang. »Wir waren zehn zu eins unterlegen.«
Jhered nickte. »Und Euer Opfer hätte fünfmal so vielen Menschen, wie in diesen Mauern gestorben wären, das Leben gerettet. Atreska wäre eine heldenhafte Nation gewesen, gesegnet von der Advokatin und gepriesen in der ganzen Konkordanz. Ihr wärt als der größte Sohn des Landes geehrt worden. Stattdessen habt Ihr Euch für den Weg des Feiglings und Verräters entschieden. Glaubtet Ihr wirklich, wir würden nicht zurückkehren? Glaubtet Ihr wirklich, die Tsardonier würden Euch verteidigen, als wir unsere Legionen an Eurer Grenze zusammenzogen? Atreska gehört zur Konkordanz.«
»Ich habe mich für das Leben meines Volks entschieden«, flüsterte Yuran.
»Wir hören die Dankesworte aus jedem Fenster schallen«, entgegnete Jhered. »Es steht an allen Wänden geschrieben.«
Yuran ließ den Kopf hängen. Seine Gedanken rasten. Verflucht sei der Mann. Wie immer klangen seine Worte so einfach und so einleuchtend. Doch er war nicht dabei gewesen. Er hatte nicht die Angst der Menschen gesehen, die Yuran zu beschützen geschworen hatte. Megan legte ihm die Hand unters Kinn. Ihr Gesicht war nahe vor seinem, in ihren Augen schimmerte tiefes Bedauern.
»Ich habe so lange von unserem gemeinsamen Leben geträumt«, sagte sie leise.
»Ich auch.«
»Selbst nachdem ich erfahren hatte, dass Atreska abgefallen war, wollte ich nicht glauben, dass es dein Werk war. Doch du hast dich nie an mich gewandt, um mir zu beweisen, dass du es nicht warst. Du hast mir keine Wahl gelassen, als meine Treue zur Konkordanz über das Wohl Atreskas zu stellen.«
Yuran lächelte und streckte eine Hand aus, um noch ein letztes Mal ihre Berührung zu spüren. Doch sie wich vor ihm zurück, und eine Träne rollte über ihre Wange.
»Du bist mein größter Triumph und mein stolzester Augenblick«, sagte Yuran. »Begehe nicht die Fehler, die ich begangen habe.«
»Zweifellos wird sie sehr genau auf ihre Lehrer hören«, erwiderte Jhered. »Megan.«
Yuran runzelte die Stirn, als er den Tonfall des Schatzkanzlers hörte, und sah Megan fragend an. Sie richtete sich auf und zog sich zurück.
»Du musst den Befehl lesen«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Es tut mir leid.«
Yuran schüttelte den Kopf. »Es muss dir nicht Leid tun. In gewisser Weise ist es sogar eine Erleichterung. Ich fühle mich in meiner eigenen Burg nicht mehr sicher.«
Er betrachtete das Pergament und erbrach das Siegel der Konkordanz, rollte das Blatt auf und las die Deklaration der konkordantischen Herrschaft über Atreska und die Ernennung des neuen Marschallverteidigers. Weiter unten war sein Name als der des abgesetzten Herrschers aufgeführt, der entsprechend den von der Advokatin erlassenen Gesetzen behandelt werden musste. Er lächelte leicht. Es entsprach fast Wort für Wort dem Dokument, das er vor zwanzig Jahren dem damaligen König von Atreska überreicht hatte.
»Dann ist es wahr, und einige
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