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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Goldenen Löwen nannten.
    Es herrschte Föhn. Die Autos glitzerten in der Sonne, und die Alpenkette hinter dem See war zum Greifen nahe. Die Passanten auf der Geschäftsstraße, an der die Büros von Geiger, von Berg, Minder & Blank lagen, hatten die Mäntel aufgeknöpft und gingen etwas gemächlicher als an anderen Tagen.
    Urs Blank winkte ab, als der vorderste Fahrer am Taxistand vor dem Büro den Schlag aufmachte. Er war früh dran, es roch nach Frühling, und vielleicht sollte er sowieso ein paar Dinge in seinem Leben ändern.
    Zum Goldenen Löwen gab es eine Abkürzung, die durch einen kleinen Park führte. Er war voller Leute. Die Kieswege waren von Ständen gesäumt, die antiquarische Bücher, getragene Kleider, gebrauchte Haushaltsgegenstände, alte Möbel und allerlei anderen Trödel anboten. Blank schlenderte, die Hände in den Hosentaschen, staunend an den Ständen vorbei. Es war ihm neu, daß es hier einen Flohmarkt gab.
    Vor einem Stand mit Spielsachen blieb er stehen. Er überlegte sich, wem er eine alte Puppe oder eine Dampflokomotive aus Blech schenken könnte. Ein vertrauter Duft stieg ihm in die Nase. Er stammte von einem kleinen Stand. Sein Zeltdach war behängt mit indischen Seidentüchern und Sarongs. Auf dem Verkaufstisch lagen Räucherstäbchenhalter aus Holz und Messing, Duftfläschchen, Glöckchen und andere Meditations-Accessoires neben Marihuana-Pfeifen in allen Größen und Formen. In der Mitte des Tisches brannte ein Gesteck aus fünf Räucherstäbchen und verströmte den Duft, der ihm bekannt vorkam.
    »Was riecht so?« fragte er das junge Mädchen hinter dem Stand. Sie trug einen chinesischen Seidenmantel und mehrere der Seidenschals aus ihrem Angebot. Mit einem hatte sie die Überfülle ihrer schwarzen Locken aus dem Gesicht gebunden.
    Als sie aufschaute, sah er, daß ihre Stirn mit einem goldenen Kastenzeichen geschmückt und ihre Lider schwarz umrandet waren.
    Was ihm einen Moment die Sprache verschlug, war die Farbe ihrer Augen. Sie waren nicht schwarz, wie das von ihrer Aufmachung her zu erwarten war, sondern von einem blassen Blau wie bei einem Huskie. Sie lächelte und schien nicht im geringsten erstaunt über den Mann im Maßanzug an ihrem Stand. »Es sind fünf Düfte, welchen meinen Sie?«
    Das Mädchen fächelte ihm mit beiden Händen die Rauchfäden gegen die Nase, einen nach dem anderen. Schmale Silberreifen klingelten an ihren Armen. »Den hier meine ich.«
    Sie schnupperte. » Sandlewood. Vierzehn Franken.«
    Urs Blank bezahlte und steckte das Päckchen in die Manteltasche.
    Er war vor Alfred Wenger im Goldenen. Herr Foppa, der Kellner, der sie immer bediente, brachte ihm sein Ginger Ale mit Eis und Zitrone. Blank trank keinen Alkohol zum Mittagessen. Ginger Ale wirkte nicht so missionarisch.
    Das Lokal füllte sich langsam mit dem üblichen Mittagspublikum. Geschäftsleute, Banker, Anwälte, Prominenz und Halbprominenz und Damen im Society-Look: groß, schlank, sportlich, blond, pastellfarbene Jackie-Onassis-Kostüme, deren Röcke weit über den spitzen Knien endeten. Keine einen Tag älter oder jünger als fünfunddreißig.
    Urs Blank war schon beim zweiten Ginger Ale, als Alfred Wenger sich zu ihm setzte. »Entschuldige, jemand der nicht aufhören konnte.« Wenger war etwas jünger als Blank, aber sein Haar war bereits in der Studienzeit grau geworden. Jetzt war es schlohweiß. Es fiel ihm bis auf die Schultern. Blank behauptete, daß Wenger seinem Haar mindestens fünfzig Prozent seines Erfolgs als Psychiater verdanke. Er selbst war brünett und trug einen Kurzhaarschnitt, der monatlich zwei Coiffeurbesuche erforderte.
    Auch sonst waren die beiden Freunde unterschiedliche Erscheinungen. Der Psychiater hochgeschossen und kantig, der Anwalt mittelgroß und trotz Disziplin und eigenem Fitneßraum etwas weich in den Konturen.
    Wenger bestellte den gemischten Braten vom Wagen. Blank entschied sich für eine Kalbspaillarde mit Gemüse. Aber als Herr Foppa wie immer zum Essen Mineralwasser brachte, sagte Blank: »Ach, wissen Sie was, bringen Sie mir einen Dreier Bordeaux.«
    Alfred schaute ihn erstaunt an. Urs fragte: »Passiert dir das nie, daß du einmal nicht das Ewiggleiche sagen und hören und tun und lassen und essen und trinken willst?«
    »Doch.«
    »Und was tust du dann?«
    »Das gleiche wie du: etwas anderes.«
    »Und was rätst du deinen Patienten?«
    »Das gleiche wie dir. Es zu tun.«
    »Und das hat Erfolg?«
    »Kommt darauf an, was du unter Erfolg

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