Die dunklen Engel (German Edition)
erfüllen würde, frischem Lachen und der glorreichen Hoffnung auf glanzvolle Tage, die die Erinnerungen an diese dunklen Nächte überstrahlen würden.
Ihr Vater schlief. Campion brachte die gekrümmten Pferdenadeln und Fäden zur Tür hinaus. Die Dienstboten, die draußen warteten, schauten sie fragend an. Sie lächelte sie an. «Es ist alles gut, vielen Dank Ihnen allen.»
Langsam ging sie zurück in ihr Zimmer. Sie war Lady Campion Lazender, sie war vierundzwanzig Jahre alt und lieblich wie die Morgendämmerung, und sie war in einen Albtraum erwacht. Und doch hatte sie dem Schnitter mit seinem Totenschädelgrinsen in seinem Königreich ein Schnippchen geschlagen und ihn in dieser Nacht mit ihrem Mut besiegt. Doch er würde zurückkommen. Sie wärmte sich die Hände am Feuer, wartete auf den Sonnenaufgang und betete, dass ihr Bruder endlich aus Paris nach Hause kam.
1
Angst kann die Straßen einer Stadt leer fegen wie das Gerücht einer umgehenden Seuche.
An diesem heißen Septemberabend 1792 wirkte Paris verlassen. Die Bewohner verbargen sich hinter geschlossenen Türen, als schämten sie sich nach einer Woche des Schlachtens plötzlich der Gräueltaten, mit denen sie ihre Stadt überzogen hatten. In Paris herrschte Schweigen – keine absolute Stille, doch eine seltsame, fast ehrfürchtige Ruhe, in der eine erhobene Stimme fehl am Platz schien.
An diesem Abend roch die Angst wie ein Leichenhaus.
Vier Reiter ritten durch die Stadt. Das Klappern ihrer Hufe klang bedrohlich, unheilvoll und ließ die Menschen, die in ihren Verstecken lauschten, die Luft anhalten, bis es verklungen war. Der Tod war in dieser Woche zur Alltäglichkeit geworden – nicht das anständige Sterben nach langer Krankheit, sondern der Tod auf der Schlachtbank. Das hohle Klappern der Hufe klang eilig, als hätten die Reiter einen Handel mit dem Grauen, das die Gossen von Paris mit Blut verstopft hatte.
Es war ein heißer Abend, und wenn es in der Stadt nicht so gestunken hätte, wäre es ein schöner Abend gewesen. Die Dächer hoben sich mit verblüffender Klarheit von dem aquarellfarbenen Himmel ab. Im Westen, wo die Sonne wie eine riesige, blutrote Kugel über dem Horizont hing, säumten Wolken den Himmel.
Der Sommer 1792 war ein heißer Sommer gewesen. Mit schweißverkrusteten, staubigen Gesichtern waren die Soldaten durch Paris marschiert auf ihrem Weg in den Norden, um gegen die einmarschierenden Österreicher und Preußen zu kämpfen. Es ging das Gerücht, dass die Soldaten im Begriff waren, den Krieg an der Nordgrenze Frankreichs zu verlieren, und das verbreitete Angst und Schrecken in dieser Stadt.
Der Sommer war so heiß gewesen, dass das Laub an den Bäumen früh gewelkt und gefallen war. An dem Tag, an dem der König gefangen genommen worden war, hatte sein Sohn, der Dauphin , auf dem Weg von den Tuilerien zur Nationalversammlung das Laub mit den Füßen aufgewirbelt, als wäre das alles ein Spiel. Es war die zweite Augustwoche gewesen; erst die zweite Woche, und schon war das Laub gefallen. Niemals, hieß es, hatte es einen so heißen Sommer gegeben, und die Hitze hatte auch nicht abgenommen, als der Herbst nahte und den Leichen den Gestank entsteigen ließ, der die erschöpfte Stadt verpestete.
Die vier Reiter ritten auf einen Platz, auf dem Schwalben über die dunkelgefärbten Pflastersteine fegten. Die Männer ließen ihre Pferde in den Schritt fallen.
Ihnen gegenüber ragte ein mächtiges Gebäude mit imposantem Torbogen auf. Die Tore waren offen. Im Eingang stand eine kleine Gruppe, seltsam fröhlich und lärmend an diesem Abend der Stille und der Angst. Die Menschen waren müde, doch die Flaschen, aus denen sie tranken, und die Erinnerungen an ihren großen Tag versetzten sie in eine fiebrige Energie und Überschwänglichkeit. Fast alle trugen rote Jakobinermützen, die keck auf ihrem langen Haar saßen.
Der älteste der vier Reiter bedeutete seinen Begleitern mit einer Geste, stehen zu bleiben, während er allein weiterritt. Die Versammelten, begierig auf mehr Aufregung, kamen ihm entgegen.
Der Blick des Reiters überflog die Gruppe. «Wer hat hier die Verantwortung?»
Ein Mann trat vor, ein Mann mit einem mächtigen Bauch, der über das Seil hing, das seine Hose zusammenhielt. Er schaute zu dem Reiter auf und nahm dann, statt ihm zu antworten, einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche. Als er den Wein getrunken hatte, rülpste er. Die Umstehenden lachten. Der beleibte Mann, zufrieden mit seinem Auftritt,
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