Princess 01 - Widerspenstige Herzen
1
In den Pyrenäen, 1816.
»Wer war nur diese Frau?«
Miss Evangeline Scoffield bewahrte vornehm Haltung. Sie ignorierte das vulgäre, unwürdige Geschwätz und wartete am Eingang des Speisesaals auf den Maitre d'hötel.
Henri verbeugte sich, zwirbelte seinen Schnurrbart und fragte auf Französisch: »Ihren gewohnten Tisch, Mademoiselle?«
Wieder setzte aufgeregtes Getuschel ein.
»Eine reiche Witwe vermutlich ...«
»Möglicherweise aus einem europäischen Adelshaus. Sie wissen ja, wie viele Napoleon vertrieben hat...«
Evangeline wusste, dass keiner der Reisenden die Wahrheit ahnen konnte, weder der spanische Grande noch der preußische General und ganz bestimmt nicht die Engländerin mit der schrillen Stimme.
»Danke, Henri.« Evangeline schenkte dem Maitre ein wehmütiges Lächeln. »Sie sind zu gütig.«
Henri strahlte erfreut. »Es ist mein Lebensinhalt, Ihnen zu Diensten zu sein.«
Mit ihrem neu entdeckten Sinn für Dramatik erwiderte sie: »Mir zu dienen könnte sich als gefährlich erweisen.«
»Für Sie, Mademoiselle, vergesse ich jede Gefahr.«
»Glauben Sie mir, ich gehöre nicht zu den Menschen, denen man Derartiges versichern sollte.«
Das Geraune wollte nicht enden.
»Die Bediensteten lassen durchblicken, sie sei eine Prinzessin ...«
»Und ganz ohne Begleitung, das arme Ding, noch nicht einmal eine Zofe...«
Henri hatte die Augen geschlossen und die Hände auf sein Herz gelegt. »Ihre Schönheit ist mir Lohn genug.«
Schönheit? Nie zuvor hatte sie jemand schön genannt, doch an diesem magischen Ort schien alles möglich zu sein. »Hier«, sie schob ihm ein paar Münzen zu. »Ich musste in meinem Leben so vieles erdulden, dass ich Ihre Freundlichkeit nicht unbelohnt lassen kann.«
Henri öffnete flugs wieder die Augen und ließ die Goldstücke in seiner Tasche verschwinden.
»Um Ihres Lächelns willen würde ich barfuß über den Felsenboden laufen, gegen ein Dutzend Männer ankämpfen, mit einem wilden Bären ringen, dem Teufel selbst ins Antlitz sehen -«
»Genug.« Mehr als genug. Er wollte weitersprechen, doch eine weitere Münze ließ ihn verstummen. Ohne Herablassung, ganz die bodenständige Engländerin, nickte sie ihm zu. »Bitte bringen Sie mich an meinen Tisch.«
Einst war das Kurhotel an der spanischen Grenze ein privates Chäteau gewesen, das einem reichen Herzog als Sommerresidenz gedient hatte. Doch die Niederlage Napoleons hatte ihn verarmen lassen, und er sah sich gezwungen, das Herrenhaus auf anderem Wege zu erhalten. Also machte er sich die nahe gelegenen Thermalquellen zunutze und beherbergte nun vornehme Gäste, die ihre Reise mit einer Kur zu verbinden wünschten.
Im Speisesaal loderte in zwei offenen Kaminen das Feuer, Engelsgesichter lächelten von marmornen Rundbögen herab, und riesige Fenster gaben den Blick auf das grüne Tal frei. Chäteau Fortune war einer der strahlenden Höhepunkte auf der Grand tour, und Evangeline gefiel sich darin, zu seinem Glanz beizutragen - und sollte es auch nur für kurze Zeit sein. Ihr smaragdgrünes Seidenkleid rauschte vernehmlich, als sie sich ihren Weg durch die mit weißem Leinen gedeckten Tischreihen bahnte, und ihr war nicht anzusehen, dass sie sehr wohl bemerkte, wie man ihr nachschaute.
»Sie ist sehr hübsch ... geformt. Glauben Sie, dass sie etwas mit dem Skandal in Sachsen-Coburg zu tun hat?«
»Das langweilige Sachsen-Coburg? Machen Sie sich nicht lächerlich! Sie ist von so exotischem Äußeren.«
Im Speisesaal grassierte die Neugier an der rätselhaften Frau, während Evangeline ihr so exotisches Kinn hob und ein unergründliches Lächeln auf ihre Lippen bannte. Ein Lächeln, das sie vor dem Spiegel einstudiert hatte.
Sie würden die Wahrheit nie herausfinden.
Mit großer Geste schob ihr Henri den Stuhl zurecht. Evangeline murmelte ein Dankeswort und nahm Platz. Sie platzierte ihren Pompadour neben das Salzgefäß aus Limoger Porzellan und legte sich die Stola aus Brüsseler Spitze um die Schultern.
»Mademoiselle frösteln?«, erkundigte sich Henri. »Hier in den Bergen wird es sogar im Sommer nachts kalt. Am Kamin wäre es wärmer.«
»Mademoiselle zieht es vor, die Aussicht auf Ihre beeindruckenden Berge zu genießen«, beschied sie ihm.
Henri zuckte mit der Ergebenheit des Galliers die Achseln. Die drei Ober schenkten ihr duftenden Rotwein ein, breiteten die schneeweiße Serviette auf ihren Schoß, und Henri zählte die Auswahl an Suppen und Vorspeisen auf.
Der bloße Gedanke an all die
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