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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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überlegen müsse, was sich überhaupt tun ließ, sondern sich auch sogleich Gedanken um Annas Sicherheit gemacht.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ein Geschäft fanden, das mit Handschriften handelte. Als sich Anna dort nach einem Plan erkundigte, öffnete der schmächtige weißhaarige Inhaber mit bereitwilligem Lächeln eine Schublade, zog mehrere Schriftrollen heraus, entrollte eine von ihnen und zeigte ihr die mit schwarzer Tusche gezeichnete annähernd dreieckige Anlage der Stadt.
    »Seht Ihr? Vierzehn Bezirke. Hier habt Ihr die Mese«, er deutete auf die Zeichnung, »da ist die Konstantins-Mauer und westlich von ihr die Mauer des Theodosius. Der Plan zeigt alles bis auf Galata, den dreizehnten Bezirk im Norden, auf der anderen Seite des Goldenen Horns. Aber dahin werdet Ihr nicht wollen – das ist etwas für Ausländer.« Er rollte den Plan wieder zusammen und schob ihn ihr hin. »Das macht zwei Solidi.«
    Seine Äußerung über die Ausländer erstaunte sie, und sie argwöhnte, dass er sie übervorteilte. Trotzdem gab sie ihm das Geld.

    Während sie der Mese weiter folgten, bemühten sie sich, nicht auffällig zu starren, um nicht als Provinzler erkannt zu werden. In langen Reihen zogen sich Händlerbuden an der Straße entlang. Obwohl die farbenfrohen Sonnensegel davor gegen den beständigen Wind an hölzernen Pfosten festgezurrt waren, knallten sie laut bei jeder Bö. Man hätte sie für Lebewesen halten können, die sich befreien wollten.
    Im ersten Bezirk war die Luft schwer von den Gerüchen, die aus den Läden der Gewürz – und Spezereikrämer drangen. Begierig sog Anna den Duft ein. Zwar hatte sie weder Zeit noch Geld übrig, doch sah sie unwillkürlich hin und blieb einen Augenblick stehen, um die Schönheit der Auslagen zu bewundern. Nichts war dem Gelb des Safrans zu vergleichen und nichts den vielen Brauntönen des Muskats. Sie kannte den medizinischen Wert selbst der seltensten all dieser Erzeugnisse. Daheim in Nikaia hatte sie derlei eigens bestellen und für den Transport zusätzlich zahlen müssen, während hier alles einfach so dalag, als handele es sich um gewöhnliche Güter.
    »Die Leute in der Stadt scheinen viel Geld zu haben«, bemerkte Simonis mit einer Spur Missbilligung in der Stimme.
    »Vor allem werden sie keinen Arzt brauchen, weil sie bereits einen haben«, gab Leo zu bedenken.
    Inzwischen hatten sie die Stände der Duftwasserhändler erreicht. Dort drängten sich weit mehr Frauen als an anderen Stellen. Ein großer Teil von ihnen war unübersehbar wohlhabend. Sie alle trugen, wie es der Brauch verlangte, eine vom Hals bis fast auf den Boden reichende Dalmatika und auf dem Haar einen Kopfputz samt Schleier. Als ihnen eine Frau im Vorübergehen zulächelte, fiel Anna auf, dass
ihre Lippen von Rötel leuchteten und ihre Brauen und vielleicht auch Wimpern leicht nachgefärbt waren.
    Lachend begrüßte sie eine Bekannte, mit der sie ein Duftwasser nach dem anderen ausprobierte. Die bestickte Brokatseide ihrer Dalmatika bewegte sich im leichten Wind wie die Kelchblätter einer Blume. Anna beneidete die beiden um ihre Unbeschwertheit.
    Ihre Patientinnen würden wohl einfachere Frauen sein, aber sie musste auch Männer finden, wenn sie erfahren wollte, warum der Kaiser seinen Günstling Ioustinianos von einem Tag auf den anderen in die Verbannung geschickt hatte. Dabei konnte ihr Bruder von Glück sagen, dass er noch lebte. Was mochte dahinterstecken, und was würde sie tun müssen, um zu erreichen, dass der Bann wieder aufgehoben wurde?
    Am folgenden Tag verließen sie im Einvernehmen miteinander die unmittelbare Umgebung der Mese und drangen weiter in die Seitengassen mit ihren kleinen Läden und in die Wohnbezirke nördlich der Stadtmitte vor, die fast unmittelbar unter den riesigen Bögen des zweistöckigen Valens-Aquädukts lagen und von denen aus man gelegentlich einen Blick auf das in der Ferne schimmernde Wasser des Goldenen Horns erhaschte.
    In einer Gasse, die kaum breit genug war, dass zwei Esel aneinander vorübergehen konnten, entdeckten sie zu ihrer Linken eine Treppe. In der Hoffnung, sich von oben besser orientieren zu können, stiegen sie hinauf. Dabei wäre Anna beinahe über Geröllbrocken gestolpert, die auf den Stufen lagen.
    Unversehens endete die Treppe in einem kleinen Hof. Anna sah sich verblüfft um. Alle Mauern um sie herum waren
beschädigt. Die eine wies Löcher auf, wo Steine herausgefallen waren, eine andere zeigte schwarze Brandspuren. Steine und

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