0345 - Villa Frankenstein
»Er ist ein…«
Der Mann schaute hoch. Das Gesicht des Pfarrers war blaß. Ringe lagen unter seinen Augen. Der Mann hatte in der letzten Zeit wenig Schlaf bekommen. »Sprechen Sie es nicht aus, Herr Pfarrer. Ich weiß, was Sie sagen wollen, aber so ist es nicht.«
»Und ob es so ist. Dieses Wesen lebt nicht. Es ist grausam, man kann es nicht als einen Menschen bezeichnen. Teuflisches Machtwerk. Jawohl, der Satan hat seine Hand im Spiel gehabt. Und er hat deine Finger geführt. Du bist kein zweiter Frankenstein, Phil Butcher, du nicht. Das solltest du wissen.«
»Wenn ich ihn töte, wird er sich rächen!« flüsterte Phil Butcher.
»Und er wird es grausam…«
»Sei ruhig. Du bist in dieser Nacht zu mir gekommen, freiwillig sogar. Und deshalb wird das geschehen, was ich anordne. Du hast dich nie auf meine Seite gestellt. Wir haben nichts miteinander zu tun gehabt, sind verschiedene Wege gegangen, aber ich wußte immer über dich und deine schlimmen Taten Bescheid. Und ich wußte auch, daß ein Mensch nicht ohne Gott auskommen kann. Irgendwann einmal würde dich der Weg zu mir führen. Heute ist der Tag gekommen. Ich schwöre dir, daß ich ihn nicht ergebnislos abbrechen werde. Hast du verstanden?«
Phil Butcher nickte. Die Worte des Pfarrers hatten gewirkt. Er wußte selbst, wie schwer es ihm gefallen war, überhaupt mit dem Geistlichen zu reden. In der Tat hatte er eine Kirche zum letztenmal als kleiner Junge von innen gesehen, und er hatte sich auch jetzt nicht mit dem Pfarrer in der Kirche getroffen, sondern in dessen Privathaus. In die Kirche würde man ihn auch jetzt nicht hineinkriegen.
Phil Butcher war ein Mann, der älter wirkte, als er aussah. Sein Haar glich zusammengelegten Strähnen. Sie wuchsen bis weit in den Nacken hinein. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Unter ihnen zeichneten sich die Ringe als Halbkreise ab. Die Haut wirkte weich und gleichzeitig aufgedunsen. Die Lippen sprangen hervor wie zwei kleine, aufeinandergelegte Gummischläuche.
Er trug alte Kleidung. In den schmutzigen Mantel hatte er sich eingewickelt wie in einen Teppich, und er schaute auf, als der Pfarrer ebenfalls nach, seinem Mantel griff, um ihn überzustreifen.
»Wir gehen jetzt!«
»Wohin?«
Der Pfarrer schlüpfte in den Mantel. Er lächelte schmal. »Das steht fest. Zu dir!«
»Und dann?«
»Werde ich mir alles genau anschauen und anschließend die Konsequenzen ziehen. Klar?«
»Sicher.« Phil Butcher senkte den Blick. Es war ihm anzusehen, daß er seinen Entschluß bereute, aber der Geistliche kannte kein Pardon. Er stand für seine Sache und würde für sie durchs Feuer gehen, daran gab es nichts zu rütteln.
Sogar die Tür öffnete er seinem Gast. »Komm, Phil, es gibt nichts mehr zu überlegen.«
Butcher löste sich aus seiner nachdenklichen Sitzhaltung. Mit der Zunge leckte er über seine Lippen. Er sah so aus, als wollte er etwas sagen, die Worte verschluckte er, da er bei seinem Gegenüber auf Granit beißen würde.
Draußen war es dunkel. Der Wind rauschte durch die hohen Kronen der Ulmen. Zur rechten Seite lag das Dorf. Nur mehr wenige Lichter brannten. Die meisten Menschen lagen in den Betten, da für sie am anderen Tag wieder die harte Arbeit beginnen würde.
Die beiden so unterschiedlichen Männer wandten sich dem Hügel zu. Dort wohnte Phil Butcher, da stand sein Haus, eine windschiefe Bude, von den Menschen im Dorf Villa Frankenstein genannt. Die einzelnen Teile des Gebäudes waren schief und krumm zusammengeschustert. Wenn es stark stürmte, pfiff der Wind durch die Ritzen und Fugen. Dann gab das Haus Geräusche von sich, die so unheimlich klangen, als läge es in den allerletzten Zügen.
Sie waren die einzigen in dieser Nacht unterwegs. Der Pfarrer dachte daran, daß die Zeiten immer schlechter wurden. Ein großer Krieg stand vor der Tür, Europa würde bald unter dem Kanonendonner zittern. In Deutschland rüstete man auf, und auch in Frankreich klirrten schon die Waffen. Die Jahrhundertwende lag über zehn Jahre zurück. Es hatte in Europa lange keinen Krieg mehr gegeben, alles deutete darauf hin, daß die Menschen sich wieder die Köpfe einschlagen wollten.
»Geh schneller!« Der Pfarrer hatte keine Lust, die gesamte Nacht ohne Schlaf auszukommen. Er wollte es schnell hinter sich bringen und das Übel vertreiben.
Der Pfad, über den sie schritten, war schlammig. Sie rutschten hin und wieder zurück. Zudem spürten die beiden die Nähe des Sumpfes.
Es gab keine Jahreszeit, in der er
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