Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
gut bezahlte Verteiler, Konsul Bruggink könnte der deutsche Kopf des Ganzen sein. Nur wie die Geschwister Weber zu diesem Spiel gehören, ist mir noch nicht ganz klar.“
Bruggink war das Stichwort. „Wie siehts eigentlich mit unserem Chauffeur Borsig aus? Meinst du, das klappt?“ Oxana lächelte wie die wiedergeborene Sphinx. „Mach dir keine Sorgen, klappt schon. Es gibt hier einige Herrschaften, die mir verpflichtet sind. Und zwar mit größtem Vergnügen.“ Ich wagte nicht danach zu fragen, um welches größte Vergnügen es sich dabei handelte, meine Phantasie war sowieso schon dabei, die Antwort auf diese Frage mit den entsprechenden heißen Bildern zu versehen.
„Weißt du“, erklärte Oxana mehr oder weniger kryptisch, „das Leben besteht aus gewissen motorischen Situationen, die so selbstverständlich sind, dass wir uns überhaupt keine Gedanken mehr darüber machen. Etwas mit der Hand greifen, laufen, essen, aufs Klo gehen. Sex ist was anderes, aber nur, wenn man ihn mit Erregung verbindet. Sex ohne Erregung, Sex als rein motorischer Akt – das ist wie Händewaschen, oder?“ Ich brachte mein obligatorisches „Hm“ an, ich hatte verstanden wie Guido Westerwelle nach der letzten Wahlschlappe. Mit Oxana Händewaschen? Nun, das nicht unbedingt. Mit Oxana etwas veranstalten, das für sie wie Händewaschen war, für mich aber eher wie die Hand auf die heiße Herdplatte legen? Ich schwankte. So etwas wie Anstand und Moral – nennen wir es lieber Spießigkeit – meldete sich. Aber jegliche Überlegung war eh für die Katz. Oxana stand auf, drückte mir ein Küsschen auf die Stirn und sagte: „Ich geh dann mal wieder. Ruf die anderen an, ob die was rausgekriegt haben, halte mich auf dem Laufenden.“ Und schon war sie selbst auf dem Laufenden und stiefelte aus meiner Wohnung und dem schmuddeligen Hinterstübchen meiner Reflexionen.
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Es war um die Mittagszeit, als ich meine Wohnung für einen kleinen Gang durch die Stadt verließ. Wenn ich so vor mich hin laufe, ohne Ziel und ohne Absicht und, wie zu befürchten, auch ohne Verstand, packt mich das urdeutsche Gen des Dichtens und Denkens. Weil es aber mit dem Dichten nicht so recht hinhauen will, denke ich mehr, und soll ja das Schlechteste nicht sein, dieses „mehr denken“, hm?
Aus allen Klitschen des Mehrwerts, aus den Tempeln der Gewinnmaximierung, aus den anrüchigen Etablissements der käuflichen Arbeit strömten die Huren der Monatsgehälter, die Zuhälter des Kapitals, die Freier der freien Marktwirtschaft und steuerten Orte der billigen Verköstigung an, die Cafeteria des Kaufhofs, die Frittenhöllen der Fastfood-Religion, die Nitratkloaken der Würstchenbuden. Arme Schweine, dachte ich. Stellte mir vor, wie da so ein hungriger Lohnempfänger mit einem nachgemachten Jugendstilsofa unterm Arm zu McDonalds kommt und es gegen einen doppelten McKotz eintauschen möchte. Gibt doch Probleme, oder?
Es war Zufall, dass ich irgendwann, heillos im Gestrüpp meiner Spekulationen und Vorstellungen gefangen, vor Hermines Tür stand, aber Zufälle gibt es nicht, wie der Krimiautor weiß, die Story muss weitergehen und sei es mit Hängen und Würgen, Ächzen und Krachen. Nach mehrmaligem Klingeln empfing mich Hermine in der vielversprechendsten aller Bekleidungen, einem vorne nur notdürftig verschlossenen Morgenmantel, hinter dem nichts als blanke Haut auf sämtliche Animalitäten meiner Sinne lauerten. „Komm rein“, sagte sie, und es klang doppeldeutig genug, um sogleich an ihr vorbeizuschlüpfen, den Stoff zu streifen und einen elektrischen Schlag abzukriegen, der sich aber auch dermaßen von gewaschen hatte, dass ich – „Halt, halt!“ brummte die Schöne und schob mich wieder vor die Tür zurück. „Du gehst jetzt zuerst mal runter zum Bäcker und besorgst ein Frühstück. Bring auch was für die Kurzen mit, die pennen noch.“
Ich liebe Frühstück. Aber dreimal hintereinander? Jedenfalls blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu trollen, um alsdann mit gefüllter Bäckertüte wieder mehrmals klingeln zu müssen und von Hermine im Immer-noch-Bademantel empfangen und dieses Mal mit freudiger Erregung eingelassen zu werden, wobei diese Erregung natürlich der Bäckertüte galt und nicht dem, der sie herbeischleppte. Aber das konnte sich durchaus noch ändern, das musste sich sogar ändern.
Ich hatte keinen Hunger, fürwahr nicht, doch aus Höflichkeitsgründen knabberte ich an einer Zimtschnecke und trank einen sehr starken
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