Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
grenzübergreifenden Sport entwickelt zu haben, den guten Moritz Klein in regelmäßigen Abständen zu betäuben. Was ich ja, ganz begeisterter Europäer, hinnehme, nur gerade jetzt ging es mir ziemlich auf den – ok, reden wir nicht mehr von dem. Wenigstens die Schmerzen da unten ließen langsam nach.
Höflichkeit und Galanterie konnten keine hervorstechenden Wesensmerkmale unserer Entführer sein, sonst hätten sie Vika das wohl einigermaßen bequeme Bett überlassen. So lag sie wie mein weiblicher Zwilling in grotesker Verrenkung auf dem Boden, die Hände auf den Rücken gebunden, von diesen ein Draht zu den ebenfalls gefesselten Füßen führend, der diese, weil zu kurz, Richtung Hinterteil zerrte, was den Knien nicht gut bekam, wie mir plötzlich spürbar klar wurde. Den Kopf hatte Vika gegen die Wand gelehnt; auch nichts, was man in der Morgengymnastik des Bayrischen Rundfunks als Empfehlung mit auf den Weg kriegt. So lag ein Häuflein Elend neben einem anderen Häuflein Elend und es begann mit einer nüchternen Selbstanklage.
„Ich hab mich benommen wie eine blutige Anfängerin.“ Sie puhte ein paar Mal Luft aus den Lungen. „Kann ich nicht beurteilen“, sagte ich, „für eine arglose Touristin warst du doch ziemlich cool.“ Sie lachte gezwungermaßen und sehr kurz. „Aber nicht für eine Privatdetektivin, die diesen Job seit 12 Jahren macht.“ „Untreue Ehemänner in flagranti ertappen?“ „Auch“, antwortete sie, „von den untreuen Ehefrauen mal ganz abgesehen. Aber auch verzwicktere Sachen.“ „Hm“, machte ich. Und sie: „Hm, hm.“ Wir hörten eine Weile den Wellen zu, bösen Wellen einer stürmischen See. Unter dem Geräusch vernahmen wir ein anderes, das eines tuckernden Motors. Würde der abgestellt, ginge es wohl ans Eingemachte. Nacht, Ärmelkanal, gefesselt. Das waren trübe Aussichten und für einen Moment dachte ich an Georg Weber. Wer hier mitten auf der See abgeladen wurde, den konnte auch der beste Detektiv, die beste Detektivin nicht mehr finden.
„Oxana?“ fragte ich aufs Geratewohl. „Jo“, bestätigte Vika. „Wir – sind Freundinnen.“ Die kleine Verzögerung registrierte ich zähneknirschend. So langsam entwickelte sich die Kasachin zur erotischen Konkurrenz. „Aha. Und sie hat dich beauftragt, mich im Auge zu behalten?“ „- was ja auch dringend nötig war“, musste Vika fieser Weise ergänzen. Und hatte natürlich Recht. Auch ich, obwohl kein Privatdetektiv, lag nicht als ein mit Ruhm bekleckerter Held auf dem Kajütboden und wartete darauf, mich vom ordnungsgemäßen Zustand der Fischpopulation im Ärmelkanal zu überzeugen. Gab es hier überhaupt Haie? Solche Biester, die mit großem Maul auf einen zu geschwommen kommen und um die Mitte packen, dass man nur noch „urgs“ sagen kann? Keine Ahnung. Würden wir sehen.
„Aber trotzdem nett, dich kennengelernt zu haben.“ Kaum hatte ich das gesagt, dachte ich an all die Menschen, die ich nicht mehr wiedersehen würde. Hermine, natürlich. Sogar Jonas, den missratenen Sprössling, würde ich, auf meiner Wolke sitzend und Manna kauend, irgendwie vermissen. Oder, nein, doch nicht. Oxana, sogar Marxer, Irmi, Borsig... Sonja Weber, auch die. „Noch leben wir.“ Eine merkwürdige Feststellung aus Vikas Mund. Stimmte ja. Na und? Noch lebten wir. Lagen nebeneinander, hörten den Wellen, dem Motor zu, dem Schnarchen von Regitz. Nein, das nicht mehr, denn das Schnarchen hatte aufgehört. „Was issn los?“ meldete sich die Stimme des Alten auch gleich und Vika antwortete ihm heiter: „Wir haben gerade die Zollgrenze überfahren, ab sofort darfst du hier billigen Schnaps und Zigaretten kaufen.“
202
Wir hingen einigen tröstlichen Gedanken über den Tod nach. Beglückwünschten uns dazu, nicht durch den erzwungenen Verzehr eines ungewaschenen Dutzends spanischer Gurken dem letalen Dünnpfiff zu erliegen, waren auch froh, dass kein sadistischer Wetterfrosch sich uns vornahm und später auch noch freigesprochen wurde. „Ertrinken ist gar nicht so schlimm“, tröstete Vika und ich war geneigt, ihr zu glauben, obwohl sie nicht aus eigener Erfahrung sprechen konnte. „In großer Höhe aus einem Flugzeug geworfen zu werden, wäre allerdings noch besser. Dann bist ohnmächtig, wenn du aufs Wasser knallst.“ Nun ja, man kann nicht alles haben.
Regitz stöhnte. Er war aus großer Höhe gefallen, vom Schüler des Bösen zu dessen Opfer geworden, und natürlich waren wir, Vika und ich, daran schuld. Er
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