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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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    Es hatte so aufregend geklungen, und jetzt stellte es sich als die wohl langweiligste Sylvesterparty heraus, die sie je erlebt hatte. Elaine stöhnte leise in ihr Sektglas hinein als sie einen Moment Zeit hatte, ihr aufgesetztes Lächeln von dem Kerl, der schon den ganzen Abend hinter ihr her lief, abzuziehen. Sie hatte genug. Mit einer vagen Handbewegung und einer „Ich muss Mal eben wohin“-Grimasse fand sie den Absprung, schob sich um die nächste Ecke und schloss die Tür zur Toilette hinter sich. Vor dem Spiegel des luxuriös ausgestatteten Raumes fuhr sie sich kurz mit den Fingern durch die Haare und rückte ihr Kleid zurecht. Sie trug heute schulterlos, klein und schwarz. Zum Glück konnte sie so etwas tragen. Sie hatte eine gute Figur. Früher hatte sie Leichtathletik getrieben, das sah man ihr noch an.
    Sie drehte den in Form eines Delphins gehaltenen Wasserhahn auf und ließ sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen.
    Eine Bekannte von der Universität hatte sie gefragt, ob sie nicht Lust hätte, den Beginn des neuen Jahrtausends mit einer Menge interessanter Leute zu feiern, sie kenne da jemanden, der sie beide mitnehmen würde zur Party von Volkmar Eckhardt. Die Einladung hatte zu verlockend geklungen, nie hätte sie sonst einmal die Möglichkeit bekommen in eines der großen Häuser an der Burg zu gelangen. Volkmar Eckhardt war der momentan wohl größte Verleger im Bereich der esoterischen Literatur, alles was Rang und Namen hatte, hatte er mit der Zeit für sein Verlagsprogramm verpflichten können. Wie ihm das gelungen war, wusste so recht niemand, aber man sagte ihm nach, der größte Kenner der Materie in der westlichen Hemisphäre zu sein. In der Szene galt er als Mischung aus Rasputin und Daniel Cohn-Bendit, morbid, intelligent und eine Spur sexy. Er hatte Beziehungen zur Wirtschaft und galt als der Mann im Hintergrund, wenn es um die astrologische Betreuung von Spitzenpolitikern ging.
    Nicht, dass Elaine sich selbst als Esoterikerin bezeichnet hätte, aber ein gewisses Interesse konnte sie nicht abstreiten. Sie hatte „Das Okkulte“ von Collin Wilson gelesen und war überrascht gewesen. Gar nicht verworren, einfach überzeugend, sehr rational und mit intellektuellem Touch. Das gefiel ihr, es kam ihrer Bildung entgegen, auf die sie sich einiges zugute hielt . Das war nicht sehr anständig, aber besser als das sie hinter dem Berg hielt, fand sie. Dann hatte sie etwas in der „Kabbala“ herumgestöbert und war fasziniert gewesen von der dargelegten Zahlenmystik. Leider war das System sehr kompliziert, so dass sie nach einiger Zeit das Buch wieder zur Seite gelegt hatte, aber eine gewisse Unruhe war in ihr zurückgeblieben, ein Bedürfnis nach der Weite und der inneren Geschlossenheit zugleich, die ihr das Gelesene vermittelte. Danach beschäftigte sie sich abwechselnd mit indianischen Prophezeiungen und feministischer Literatur über die „große Mutter“ und am Ende stellte sie fest, dass sie sehr gut die Zeit verbracht hatte, einiges mehr wusste als ihre Kommilitonen und manches auch in ihrem Studium gebrauchen konnte. Aber die Unruhe war geblieben und sie musste sich eingestehen, dass diese Unruhe ein größeres Loch war, als mit Bücherwissen zugestopft werden konnte, ja, dass sie diese Unruhe eigentlich schon verspürte, seit sie denken konnte.
    Elaine blickte in den Spiegel und sah ein durchschnittlich hübsches Gesicht, umrahmt von mittellangen, dunklen Haaren, einer etwas zu großen Nase, die, glaubte man ihrer Mutter, von Willensstärke zeugte, und mit einem Mund, um den in letzter Zeit immer häufiger ein Zug von Unzufriedenheit spielte.
    Was war nur mit ihr los? Alles in allem konnte sie doch mit sich zufrieden sein. Sie war raus aus der Kleinstadt, in der sie ihre Kindheit verbracht hatte, hatte ihren lang ersehnten Studienplatz für Ethnologie bekommen und eine hübsche Wohnung in Stadtnähe. Sie sah nicht schlecht aus und hatte nur deshalb keinen festen Freund, weil sie keinen wollte. Etwas frustriert schnitt sie ihrem Spiegelbild eine Grimasse.
    Irgendwie hatte sie sich in den letzten Wochen von der Endzeit- und Aufbruchstimmung des ausgehenden Jahrtausends anstecken lassen. Nicht gerade dass sie hoffte, von einem UFO abgeholt zu werden, aber immerhin könnte es ja passieren dass sie begriff, was die anderen sich vom neuen Jahrtausend erhofften, dann würde sie sich wenigstens nicht so ausgeschlossen fühlen, und vielleicht würde ihr ja irgend etwas bewusst werden,

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