0153 - Die kleinen Riesen
»Ja«, zwitscherte Iris. »So hat es geheißen. Und da stand was von einem Zyklop drin. Ist das so einer wie die Riesen beim Gulliver?«
»Nein«, erwiderte die Frau. »Der Zyklop ist – war – sehr, sehr böse. Weißt du was? Ich erzähle dir morgen davon. Heute ist es zu spät. Du mußt schlafen, sonst bist du morgen nicht richtig wach.«
»Ach, das sagst du immer«, maulte Iris.
Monika lächelte, trat an das Bett und strich ihrer Tochter durch das Haar. »Aber du mußt wirklich schlafen«, sagte sie. »Ich lege mich auch gleich hin.«
»Kann der böse Riese auch in mein Zimmer kommen?« fragte Iris.
Das Lächeln schwand von Monikas Gesicht. »Nein«, sagte sie. »Es gibt ihn doch gar nicht mehr. Er ist doch tot.«
»Das ist gut«, erwiderte das Mädchen und kuschelte sich zusammen. Monika küßte sie auf die Stirn und verließ das Kinderzimmer.
Lautlos schloß sie die Tür. Sie beschloß, noch einmal auf die Terrasse hinauszutreten um die milde Nacht zu genießen. Heinz, ihr Mann, war auf einer Dienstreise irgendwo in Italien. Er würde erst zum Wochenende zurückkommen.
Sie durchmaß das Wohnzimmer mit wenigen Schritten, öffnete die Tür und trat hinaus. Vorher hatte sie das Licht gelöscht, damit es nicht ein paar hundert Mücken anlockte. Sie schritt über die Marmorplatten der Terrasse und blieb an der kleinen Begrenzungshecke stehen.
Auf ihrem Grundstück gab es keine Zäune und Geländer. Zäune waren etwas Unnatürliches. Überall dort, wo eine Begrenzung sein mußte, wuchsen Hecken. Der Garten, der wie ein Park aussah, war eine Oase der Natur in der Betonwüste.
Sie lauschte dem Grillenzirpen. Hier gab es sie noch, diese lustigen kleinen Insekten. Monika sah zum Himmel auf. Die Sterne schimmerten hell. Irgendwann, dachte sie, werden wir sie erreichen. Irgendwann werden die großen Raumschiffe starten und uns dorthin tragen. Vielleicht in tausend Jahren, vielleicht in einer Million. Vielleicht auch früher.
Zyklopen! Sie lächelte. Wie war das Kind ausgerechnet jetzt, zur Nacht, auf diese Blödsinnsidee gekommen? Polyphem, der Menschenfresser, und Odysseus, der ihm den glühenden Pfahl in sein einziges Auge rammte und mit seinen Gefährten, unter den Bäuchen der Schafe hängend, aus der Höhle entkam…
Tappende Schritte. Ein Zweig knackte. Irgendwo bewegte sich etwas.
Jäh fuhr Monika herum. War da jemand?
Ihre Augen durchforschten das seltsame Zwielicht. Wieder glaubte sie die schleichenden Schritte zu vernehmen.
»Ist da jemand?« fragte sie halblaut und erschrak vor ihrer eigenen Stimme.
Sofort verstummten die Geräusche.
Atemlos lauschte sie in die Nacht hinein. Nach einer Weile vernahm sie das Tappen wieder und dann ein Geräusch, als kratze jemand an der Hauswand!
Da war wirklich etwas!
»Hallo…«
Wieder erstarb das Geräusch. Da wußte sie, daß sich jemand auf dem Grundstück herumtrieb. Angst stieg in ihr auf. Im nächsten Moment dachte sie an Iris.
Das Fenster des Kinderzimmers stand weit offen!
Sie huschte mit klopfendem Herzen ins Haus zurück. In der Schreibtischschublade ihres Mannes lag die Astra-Pistole. Die zierliche Waffe, der man in Kennerkreisen keine besondere Treffsicherheit nachsagte, war geladen. Monika entsicherte sie. Dann trat sie langsam wieder auf die Terrasse.
Da sah sie eine Gestalt.
Im ersten Moment glaubte sie, einen Schatten unter den Schatten der Bäume zu sehen. Doch im Gegensatz zu den anderen, windgepeitschten Baum-Schatten bewegte sich dieser nicht. Plötzlich glommen zwei gelbe Punkte auf.
Augen?
»Wer sind Sie?« rief Monika.
Die Gestalt antwortete nicht. Still stand sie da.
»Geben Sie Antwort! Wer sind Sie, und was wollen Sie?«
Da bewegte sich der Schatten, kam schweigend auf die Terrasse zu.
Die Angst in Monika wurde riesengroß und ließ sie in einer Instinktreaktion handeln. Sie zog den Abzug der Waffe durch. Drei Schüsse peitschten nacheinander durch die Nacht. Die dunkle Gestalt wirbelte herum und verschwand in der Nacht. An den Schritten hörte Monika, daß der Fremde sich entfernte.
Er kam in dieser Nacht nicht wieder.
Ihre Hand mit der Astra sank herab. Im Kaninchenstall neben dem Haus begann es zu rumoren; die Tiere waren durch die Schüsse aufgeschreckt worden.
Monika kehrte ins Haus zurück. Sie verriegelte die Terrassentür und ließ die Rolladen zurück. Als sie sich umwandte, stand Iris vor ihr. Sie war aufgestanden. »Was war das, Mami? Hast du geschossen?«
Sie sah die Pistole in Monikas Hand.
»Ein
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