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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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schwieg indes, was wir zu schätzen wussten. Bemerkte aber als erster, dass auch der Schiffsmotor eine Schweigeminute eingelegt hatte, vielleicht aus Gründen vorauseilender Pietät, weil er wusste, was gleich folgen würde. Die Endlagerung. Nein, scheiß drauf, scheiß auf gutes Deutsch und alle Oberstudienräte: auf die endgültige Endlagerung.
    „Jetzt“, sagte Regitz – und in einem Anflug seines bekannten Humors (er jedenfalls kannte ihn): „Das Datum müssen wir uns rot im Kalender anstreichen.“ „Ja“, bestätigte ich, „im neuen Mord(s)kalender des Conte Verlags. Leider erst ab Oktober 2012 lieferbar, 450 Seiten, roter Leineneinband, 15 Euro, über 800 Geburts- und Sterbedaten und 52 geile Wochenkolumnen eines geschätzten Krimi-Experten. Kann beim Verlag vorbestellt werden, ein Register gibt’s auch. Und nicht jammern, wenn es zu Lieferengpässen kommt, vorsorgen halt.“ „Na dann“, resümierte Regitz und begann zu husten.
    Schritte auf Deck. Vika bäumte sich neben mir auf, Regitz, an die Bettpfosten gefesselt, hatte ausgehustet und murmelte etwas, das wie ein Vaterunser auf Kisuaheli klang. Mir selbst fiel ein, die Wassertemperatur müsse so unterirdisch sein, dass mit einer schweren Erkältung zu rechnen war.
    „Hört mal“, sagte Vika plötzlich. Wir hörten. Der Motor brummte wieder, aber irgendetwas war merkwürdig daran. Das Geräusch schien in einiger Entfernung, kam näher. „Ein zweites Schiff!“ triumphierte Regitz, „Polizei! Die guten alten Bullen, ich liebe sie einfach!“ Vika war skeptisch. „Oder andere Ganoven.“ Ein Lichtkegel huschte am Bullauge vorbei, an Deck wurde hektisch geredet, hin und her gelaufen.
    Das aber war nichts gegen die Ereignisse auf dem zweiten Schiff, das nun unmittelbar bei unserem Kahn sein musste, Wand an Wand mit ihm, auf dem wir Gefangenen atemlos lagen und lauschten. Hunderte aufgeregter Stimmen, so kam es uns vor, schickten unverständliche Kehllaute, die zu hysterischem Durcheinandergeschrei anschwollen, begleitet von Geräuschen, wie sie John Wayne von einer Rinderstampede kennen würde. Etwas schlug gegen die Außenwand unseres Schiffes, die Stimmen wurden hektischer – und dann fiel ein Schuss. Abrupte Stille, doch nur die Ruhe vor dem Sturm.
    „Ich sags doch! Die Bullen!“ Auch Regitzens Stimme war nahe davor, sich zu überschlagen. „Hier sind wir!“ schrie er. Es war nun allerdings so laut draußen geworden, dass der Hilferuf ungehört verhallen musste. „Einfach abwarten“, riet Vika und ich fragte mich, was uns auch anderes übrigblieb. Das Getrampel über unseren Köpfen war inzwischen kaum noch auszuhalten, die Personen des zweiten Schiffes hatten das unsrige geentert, man konnte sich die Handgreiflichkeiten, die da oben stattfanden, in bewegten Bildern vorstellen. Wieder krachte ein Schuss, brachte aber nicht die vom Erzeuger erwünschte Ruhe, im Gegenteil. Etwas fiel, knapp an unserem Bullauge vorbei, ins Wasser, dann wieder etwas. Ein weiterer Motor heulte auf, der eines kleineren Fahrzeuges, und entfernte sich schnell. Auf Deck brach Jubel aus. „Die Bullen?“ Sogar Regitz war sich nicht mehr sicher. „Klingt eher wie Piraten“, sagte Vika – und ich nickte. Piraten.
     
     
    203
    Piraten? Das hier war nicht die Karibik, hier segelte kein Johnny Depp übers Meer, hier waren wir drei gerade die einzigen Deppen. Es rumorte, es krakeelte, es schepperte, es knirschte, es bumste über uns, Lachen und Schreien, immer diese kehligen Laute, die wir nicht verstanden. Dann stieg jemand unter Deck, die Tür zur Kabine wurde geöffnet, ein Kopf hineingestreckt ins Fastdunkel, Licht gemacht. „Oh!“ sagte es aus diesem Kopf, der zweifellos einem Afrikaner gehörte. „Oh!“ noch einmal. Der Mann blieb in der Tür stehen, für einen Moment ratlos. Er sagte etwas auf Französisch, einen kurzen Satz, an den ein Fragezeichen gehängt wurde, wir verstanden ihn nicht. Er wiederholte auf Englisch. „Who are you? What are you doing here?“ Was wir hier taten? Rumliegen und chillen, mein Freund.
    Inzwischen hatten sich weitere Personen in den Bauch des Schiffes gewagt und schauten jetzt an unserem Erstbesucher vorbei in die Kabine. Dunkelhäutige Afrikaner, ein paar hellere darunter, Maghrebiner. Sie sprachen aufgeregt miteinander, wiesen auf uns, bis der Mann in der Tür eine Art Befehl herauszischte, zurücktrat und die Tür schloss.
    „Was war das?“ fragte Regitz. „So etwas gibt es in Somalia, hab ich mir sagen lassen. Seid

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