Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
rauchte selbst selten, hatte aber immer eine Packung eingesteckt, das gehörte zum Handwerkszeug -, tat so, als suche sie nach ihrem Feuerzeug (sie hatte eins, aber wollte es nicht finden), die Tänzerin sah es sich gelassen an, ihre Blicke trafen sich, Vika lächelte und die andere winkte sie zu sich her. So kam man in Kontakt.
Vikas Englisch war nicht schlecht, aber ungeübt. Schon ihr „Thank you“ verriet sie, „you're German?“ fragte die Tänzerin und setzte hinzu: „Ich bin Schweizerin, aber frag mich nicht, wie lange ich schon auf dieser verfluchten Insel wohne.“ Mareike hieß sie, „und was machst du bei uns? Auch im Gewerbe?“ Das „Gewerbe“ klang wie „Rotlicht“, verächtlich mit dem Rauch aus den Lungen gepresst. Nein, antwortete Vika, alles Zufall. Sie interessiere sich für Elfen, das ganze Zeugs, schon als Kind. Mareike lachte auf. „Ach so, du bist eine Esoterische. Na geht in Ordnung, davon leben wir schließlich.“
Die Zigaretten waren beinahe aufgeraucht. „Kommst noch mit nen Kaffee trinken?“ fragte Vika, „siehst so aus, als könntest einen gebrauchen.“ Mareike nickte. Es war ein merkwürdiges Nicken, das spürte Vika sofort.
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Wie einer wohnt, ist wichtig für den weiteren Lebensweg. Das wusste Borsig aus eigener trauriger Erfahrung. War er doch in einer sogenannten Problemsiedlung aufgewachsen, einem noch sogenannteren sozialen Brennpunkt, um nicht zu sagen einem üblen sozialen Netzwerk, mit dem verglichen Facebook harmlose Kinderkacke war. Bei Borsigs wurde die Margarine – Butter? Sehr witzig! – mit Springmessern aufs Brot geschmiert, nachdem man sie notdürftig vom eingetrockneten Blut verfeindeter Clans gereinigt hatte, und der morgendliche Schulweg den man höchstens dreimal im Monat ging, der Rest war spontanem Schulfrei gewidmet – glich einem US-Kriegsfilm, natürlich nur die ganz brutalen Szenen.
Die falsche Adresse – und schon wirst du Hilfsarbeiter und kein Professor für frühkindliche Archäologie. War ja sattsam bekannt, soziale Selektion, große Scheiße ey. Nicht dass Borsig diesen Werdegang bereute, eine flotte Studentin – Anja! – hatte er immerhin abgreifen können. Es war ihm nur in den Sinn gekommen, als ihm die gigantische Isländerin Nancy Halgrimsdottir die Heimfahrt anbot, er voreilig genickt und seine Adresse genannt hatte, ein heruntergekommenes Plattenbaulabyrinth am Stadtrand. „Prima, liegt auf dem Weg.“ Tat es. Nur, leider: Vorher würden die beiden anderen Titaninnen aussteigen, er wäre folglich mit Nancy alleine, deren Atelier die nächste logische Anfahrstation war. Was, wenn sie ihn auf „einen Drink“ einladen würde?
Borsig sah sich nicht in der Lage, ein solches Angebot abschlägig zu bescheiden. Gut, noch war es Theorie. Die erste stieg aus, verabschiedete sich – zwinkerte sie Nancy dabei nicht schelmisch zu, mit einem entwürdigend abschätzenden Seitenblick auf Borsig? Die zweite stieg aus, verabschiedete sich – und ja, kein Zweifel, sie zwinkerte Nancy lausbübisch zu, streifte Borsig mit einem Blick, mit dem Löwinnen vorbeiziehende Zebras, Gnus oder unvorsichtige Safariteilnehmer streifen. Warum wohnte er nicht woanders? Warum war er nicht zu Fuß gegangen oder mit dem Bus gefahren? „Kommst noch auf einen Absacker mit zu mir?“ Borsig erstarrte und spürte, wie er langsam nickte.
Borsig atmete auf. Nancy hatte, kaum waren sie im Schummerlicht des Ateliers, sogleich den Fernseher eingeschaltet, um mögliche Neuigkeiten über ihre isländische Heimat nicht zu versäumen. „Misch uns mal was Leckeres“, wies sie den Besucher an und zeigte auf einen mit Alkoholika gefüllten Schrank in einer Ecke. Borsig mixte. Nancy zappte fluchend durch die Programme, nichts Neues über Island. Die Bilder aus Großmuschelbach, das Rave-Event des Jahres, die beiden fetten Ganoven. Wenigstens hatten sie aus der Scheiße, in der sie saßen, das Beste gemacht. Borsig betrachtete unkonzentriert die zuckenden, tanzenden jungen Leiber, Nancy lachte schallend. Dann gab es dem Mann einen Stich, hinterrücks ins Herz, dünkte es ihn. Das war doch... die kleine Halbnackte auf dem Wagendach, im Arm eines blondierten Bubis, die strategisch wichtigen Körperteile aneinanderreibend – das war doch: Anja. Seine Anja. Borsig nahm einen tiefen Schluck aus der Whiskeyflasche und schloss die Augen. Was immer nun geschehen mochte, es sollte sein, es war Schicksal eines von aller Gerechtigkeit ledigen Arbeiters, eines
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