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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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hatte einst ebenfalls zum Prekariat gezählt, ein Jünger des Mindestlohns, zugleich mit einer Sehnsucht nach Kapitalismus zur Welt gekommen, der er hier frönte wie all die anderen, der Fliesenleger, der Metzger, der Bäcker, Menschen, die Frankreichs Entscheidung, die Vermögenssteuer nach deutschem Vorbild abzuschaffen, einen „Befreiungsschlag für das freie Unternehmertum“ priesen und denen entgangen war, dass sie selbst niemals Vermögenssteuer bezahlt hatten oder jemals bezahlen würden. Und jetzt - ich hatte zu keuchen begonnen, denn ich wohne im 5. Stock, kein Fahrstuhl -  erkannte ich Lüdemanns grinsende Fresse durch das Nebulöse der Erinnerung, hörte ihn „wenigstens ein Schild bräuchtest du, sonst bist du ja gar nichts“, und dann musste ein Text überlegt, eine Folie bedruckt worden sein.
    Sieben mühsame Stufen lang schmeichelte mir der Gedanke, besondere intellektuelle Eigenschaften hätten mich in den Augen meiner Zechkumpane zum „Detektiv“ prädestiniert, ein messerscharfer Verstand etwa, eine außergewöhnliche Kombinationsgabe, gehobene Schauspielerei oder wenigstens die besonders coole Art, wie ich Zigaretten mit einer Hand drehen konnte. Bis mir schließlich dämmerte – der alkohole Vorhang meiner Gegenwart hatte sich langsam zu heben begonnen  -, dass es reine Phantasielosigkeit gewesen war. Ihnen war einfach nichts Besseres eingefallen, nichts Seriöseres zumal. Ein Detektiv soff (passte), war notorisch erfolglos (passte), stand irgendwo am Rand zwischen Legalität und Illegalität (passte – aber woher wussten sie das?) und trieb sich gerne mit zweifelhaften Frauen herum (Hermine – passte). Sie hatten Bücher gelesen, Filme gesehen, sie erkannten Verlierer mit geübtem Blick.
    Wessen eigene Hand die Folie an die Fassade geklebt, wer als Textdichter verantwortlich gezeichnet hatte, all das würde für alle Zeiten im Dunkeln bleiben. Ich hielt die Überreste des Streiches in der Rechten, zu einer Kugel deformiert, ich beugte mich über das Geländer und sah hinunter, hielt die Hand über den Abgrund und öffnete sie. Die Kugel fiel nach unten, prallte auf den Steinboden, hüpfte ins Unsichtbare und war verschwunden. So schnell wurde man Detektiv, so schnell entsagte man dem Beruf, so schnell wurde aus dem Geschäftsmann wieder die arme Sau. Dann sah ich sie.
     
     
    3
    Von hinten betrachtet, gehörte sie durchaus zu den Frauen, die zu beschreiben einem der liebe Gott Hände gegeben hatte. Aber das interessierte mich nicht. Sie stand zwischen mir und meiner Wohnungstür, in der Luft lag  noch das letzte Röcheln des Klingeltons. Ich blieb einen Moment hinter hier stehen, etwas schien sie sehr zu beschäftigen, denn sie hatte mich nicht bemerkt. Ich räusperte mich und sie drehte sich um.
    „Guten Tag“, sagten wir gleichzeitig und lächelten gleichzeitig. „Wohnen Sie hier?“ hätte sie jetzt fragen müssen, aber sie fragte gar nichts, sondern sagte lapidar: „Ich heiße Sonja Weber.“ „Schön“, sagte ich und meinte es ehrlich, denn Sonja ist ein schöner Name.
    Ich betrachtete Sonja Webers Gesicht wie ein x-beliebiges Bild beim hastigen Durchblättern einer Zeitschrift, schätzte sie auf solide 29 Jahre, konnte mich nicht entscheiden, ob ihr Gesicht ebenmäßig war oder nicht, ihr langes und glattes braunes Haar der Gesichtsform angemessen, die Augen braun oder blau oder grün, tief wie Gebirgsseen oder groß wie Spiegeleier, ihr Hals zu lang, zu kurz, zu faltig, verdächtig glatt. Ihre Brüste lagen unter novemberadäquatem Stoff – ein Zustand, für das Vladimir Nabokov notorisch „opak“ zu schreiben pflegte - und machten nicht den Eindruck, sie seien schwer zu bändigen, ihre Figur war auf eine Art Durchschnitt, dass man nicht sofort erigierte, mein Blick war also der eines Mannes, der eine Frau nur anschaute, weil sie ihm irgendwie im Weg stand, und sie merkte es und trat zur Seite. Ich zog den Schlüssel aus der Tasche und schloss die Tür auf, trat ein, sie folgte mir, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Sie war leichtsinnig; das merkte ich mir. Warum auch immer.
    Meine Wohnung ist sehr übersichtlich. Sie besteht aus einem Wohnzimmer, das mangels Mobiliar leer ist, einem Schlafzimmer, das deshalb Schlafzimmer heißt, weil eine Luftmatratze und ein Schlafsack auf dem Boden liegen. Das Bad ist das Bad und Sonja Weber würde es nur zu sehen bekommen, wenn sie den Weg in die Gaststätte nebenan partout nicht mehr schaffen würde. Bliebe die Küche,

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