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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Sex jede Alternative (deutsche Schlager pfeifen, an die nächste Mahlzeit denken, einen Aggressionskrieg planen) um Längen. Dumm nur, wenn einem die potentielle Partnerin gerade eröffnet hat, sie sei lesbisch.
    „Jetzt staunst du“, lachte Oxana. Ich gab es mit einem Kopfnicken zu und überlegte, welche deutsche Schlager ich pfeifen könnte, außer „Marmor, Stein und Eisen bricht“ fiel mir aber keiner ein. „Ich meine auch  nicht das, was du gerade denkst, mein lieber Moritz. Im Kofferraum sind zwei Notebooks, hier im Handschuhfach zwei Websticks. Damit wählen wir uns ins Internet und schreiben einander erotische Mails. Einverstanden? Als wären wir Fremde, die viele tausend Kilometer voneinander entfernt sind, sich noch nie gesehen haben und gerade versuchen, sich ineinander zu verlieben. Also keine Sauereien. Jedenfalls nicht gleich.“
    Ich wusste sofort, dass dies ein biografisch bedeutsamer Moment sein würde, eines der Ereignisse, die man ebenso wenig vergisst wie die erste Spielzeugeisenbahn, das erste selbstverdiente Geld oder das erste Mal. Ich wusste es deshalb, weil Oxana und ich nicht dazu kamen, die Laptops aus dem Kofferraum zu holen und die Verbindung zum Internet herzustellen. Und damit würde alles ein Teil meiner schwülstigen Vorstellungswelt bleiben, ich würde unzählige Versionen dessen, was hätte stattfinden können, aber nicht stattfand, durchspielen, von genüsslich bis nostalgisch, von jubilierend bis wehklagend, ohne jemals wieder die Chance zu bekommen, auch  nur die harmloseste dieser Versionen mit irgend einer Form von Wirklichkeit abzugleichen. Was deshalb besonders tragisch war, weil ich meine beste Unterhose an hatte.
    Denn gerade als wir zum Vollzug schreiten wollten, geschah etwas. Ein Wagen fuhr vor, hielt auf Höhe des Tores zum Gebhardtschen Anwesen und Herr Honig stieg aus. Seine Nase, das konnte man deutlich sehen, war bandagiert, ein Umstand, der mich sehr erfreute, hatte es also vor wenigen Tagen bei der nächtlichen Konfrontation am Hinterausgang der Firma Gebhardt und Lonig, Im- und Export, genau den richtigen auf die richtige Stelle getroffen. Er drückte auf den Klingelknopf und ging ungeduldig ein paar Schritte hin und her, Oxana ließ vorsichtig das Seitenfenster einen Spalt nach unten, wir hörten ein Quäken aus der Gegensprechanlage und einen Satz Honigs, der aber leider nicht zu verstehen war.
    Für den Beschäler der Geschäftsführerin schien es kein sehr erfreulicher Dialog zu sein, wie seine Körpersprache anzeigte. Er krümmte sich, arbeitete bedenklich mit dem Kopf (äußerlich, kaum innerlich), seine Stimme wurde lauter, dann endlich trat er einen Schritt zurück und wartete abermals auf Dinge, die da kommen sollten. Sie kamen nach geschätzten drei Minuten, ein Arm, der durch das geräuschlos eine Winzigkeit geöffnete Tor gestreckt wurde, an diesem Arm eine Plastiktüte, die Honig entgegennahm, Honig, der ein paar Worte sagte, während sich das Tor wieder schloss, schließlich mit einem deutlich vernehmbaren „Fick dich doch!“ das Ende der Kommunikation verkündete und sich anschickte, wieder in seinen Wagen zu steigen.
    „Was jetzt?“ Ich hätte die Frage ebenso gut stellen können, gab aber ebenso gut die Antwort: „Keine Ahnung.“ Oxana war von Marxer mit der Überwachung des Hauses beauftragt worden, die Uhr sagte uns, es sei zwanzig nach Zehn, von irgendwelchen Verfolgungsfahrten hatte Marxer nichts erwähnt. Honig fuhr an, wir rutschten tief in die Polster. „Ich fahr ihm nach“, entschied Oxana und drehte den Zündschlüssel.
     
     
    106
    Die Straßen gehörten uns fast allein. Oxana ließ Honig sichere fünfzig Meter Vorsprung, er beließ es gesetzestreu bei fünfzig Pferden und hielt an jeder roten Ampel, ein Mensch ohne Ambitionen, von irgendeinem Amt zurückzutreten.
    Der Mann mit der gebrochenen Nase führte uns aus der Stadt hinaus. Schon stand mir Schauderndem das vermaledeite Wort „Großmuschelbach“ vor Augen, als Honig abbog und die Straße nach Neugermanich nahm, dem glatten Gegenteil Großmuschelbacher Elends, ein ehemaliges Kuhdorf, das clevere Architekten zur gentrifizierten Suburbia oder wie auch immer gemacht haben, für die Glücklicheren von uns, die gerne Fußballplätze anlegen und sie Vorgarten nennen. Hier wurde nicht gewohnt, hier wurde residiert, die Straßen waren mit Flüsterasphalt geteert und überhaupt keine Straßen, sondern sämtlich Alleen, manche mit Pappeln, manche mit dicken Eichen, um die

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