Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Ein kleiner, siegreicher Krieg
Der Krieg um Südossetien begann nicht, wie allgemein angenommen, in der Nacht vom siebten auf den achten August 2008 , sondern schon etwa eine Woche vorher. Beiderseitigen Beschuss gab es bereits am ersten oder zweiten August, anfangs allerdings nur mit Gewehrfeuer. Georgien verfolgte eine Taktik der Zurückhaltung und war bemüht, sich nicht provozieren zu lassen. Zur Eskalation kam es, als am sechsten August ein georgischer Panzerwagen mit sechs Polizisten in die Luft flog. Die ossetische Seite erklärte, der Panzer sei auf eine Mine gefahren – einen Tag zuvor waren ossetische Zhigulis explodiert, die auf demselben Feld anrollten. Die Georgier sind bis heute überzeugt, dass der Panzerwagen abgeschossen wurde – vermutlich als Rache für die Zhigulis.
Wie dem auch sei, am siebten August setzte Georgien seine Panzerkolonnen in Richtung Südossetien in Bewegung. Wie mir der Journalist Dmitrij Steschin, der sich an diesem Tag auf georgischer Seite befand, später erzählte, hat er diese Kolonnen gefilmt, bis die Flashcard seiner Kamera voll war. Um 23.30 Uhr begann die massive Beschießung Zchinwalis, der Hauptstadt Südossetiens.
Auch Moskau hatte sich frühzeitig auf den Krieg vorbereitet, vor allem in Abchasien. Russische Bahnpioniere hatten die Sanierung der Abzweigung in die abchasische Hauptstadt Suchumi – offenbar zur künftigen Verlagerung von Technik – schon lange vor den Ereignissen begonnen. Auch Zchinwali hatte man nicht abgeschrieben – russische Truppen wurden schon 2007 in Nazran zusammengezogen. Man wartete nur auf einen schwerwiegenden Anlass, um die Armee in die Region schicken zu können.
Und diesen Anlass hat der georgische Präsident Micheil Saakaschwili Moskau zweifellos gegeben.
Nach den Worten des stellvertretenden Generalstabschefs Anatolij Nogowizyn betrugen die russischen Verluste insgesamt vierundsiebzig Gefallene, hunderteinundsiebzig Verwundete und neunzehn Verschollene. Diese Zahlen halte ich für ziemlich genau. Ist das viel oder wenig angesichts der Größe Russlands und der Vertreibung der NATO vom weichen Unterleib?
Ich weiß es nicht. Urteilen Sie selbst.
***
Das nächtliche Wladikawkaz liegt ruhig. Kaum Menschen auf den Straßen, fast keine Militärs, auch wenn Posten an den Kreuzungen stehen. Flüchtlinge sind auch nicht zu sehen. Die Cafés und Restaurants sind geöffnet wie immer. Nur die unmäßig gestiegenen Preise der Flugtickets – es ist sehr schwer geworden, überhaupt einen Flug hierher zu bekommen – zeugen davon, dass jenseits des Gebirgspasses Krieg ist. Und die um das Doppelte gestiegene Flugzeit: Man braucht fast vier Stunden statt der üblichen zwei, schon über Beslan lassen sie Militärflugzeuge vor.
Am Flughafen begrüßt mich Alan, ein Bursche von fünfundzwanzig Jahren. Den Kontakt hat mir Olga Borowa verschafft, eine Kollegin, die nach Georgien geflogen ist. Die beiden haben sich noch in Beslan kennengelernt – Alan hat bei der Geiselnahme damals Kinder aus der Schule getragen.
Unterwegs erzählt er, dass der Tunnel wohl noch nicht gesprengt und nicht besetzt sei, die Lufthoheit habe aber die georgische Luftwaffe – Jagdbomber verfolgen Maschinen mit Volkssturmsoldaten. Bis Dzhawa komme man noch, dahinter sei die Straße gesperrt. Heute sei sein Vater aus Zchinwali zurückgekehrt. Er sei mit seinem Scharfschützengewehr dorthin gefahren. Habe dreizehn Ohren mitgebracht. Das nehme ich ihm nicht ab.
Trubel in der Stadt ist einzig im Regierungsgebäude. Alle Fenster erleuchtet, die Flure verstopft von Menschen, obwohl fast Mitternacht ist, auf dem Platz eine Demonstration – etwa fünfhundert Personen. Alles Frauen. Manche am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ich frage Alan, was sie wollen. Sie wollen Krieg.
Ich bekomme Izrail Totoonti, Berater des stellvertretenden Parlamentspräsidenten von Nordossetien, zu fassen. Er skizziert die Situation:
«Die Aushebung der Reservisten läuft, aber nicht unter Zwang, sondern freiwillig. Wir sammeln die Leute über die Wehrkreisämter. Wir nehmen längst nicht alle. Spontane Freiwilligenbewegungen versuchen wir zu stoppen. Es gibt Altersgrenzen – zwanzig bis fünfundvierzig Jahre, jeder Mann muss behördlich erfasst sein und eine Grundausbildung haben. Wenn er geeignet ist, bekommt er den Gestellungsbefehl. Die Weisung dazu stammt vom russischen Verteidigungsministerium. Ich habe diesen Ukaz nicht gesehen, aber ich glaube, es ist tatsächlich so. Das
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