Die Ehre der Am'churi (German Edition)
nahezu unzerbrechlich, ihre fast sichelförmige, armlange Stahlklinge gehärtet in Am’churs göttlicher Flamme. Sie spaltete selbst Felsbrocken und war doch so leicht, dass man nicht im Kampf ermüdete. Verlor ein Am’churi sein Chi’a, war dies fast so schmerzhaft wie der Verlust seiner Waffenhand. Er konnte sich ein neues schmieden, doch es würde wieder zwei Jahre dauern, bis er sich als wahrer Krieger fühlen durfte.
Ruhelos streifte Jivvin durch seine Kammer. Die Adepten durften ein Zimmer für sich allein beanspruchen, im Gegensatz zu den Novizen, die sich noch zu dritt oder zu viert einen Raum teilten. Diese Räume waren nicht allzu groß, erst als Meister erhielten sie den Platz, sich vollkommen frei zu entfalten, aber es genügte, um sich zurückzuziehen und ungestört studieren oder Kampfschritte üben zu können.
Nichts davon wollte Jivvin heute gelingen. Die Buchstaben auf den Schriftrollen tanzten vor seinen Augen, er wollte nicht lesen. Für Meditation oder Kampfübungen fehlte ihm die Konzentration. Immer wieder sah er die Angst in den Augen seines Feindes und den Triumph auf Pérenns und Kamurs Gesichtern. Jivvin sorgte sich nicht um Ni’yo, mehr darum, was er mit den beiden jungen Kriegern anfangen würde, sollten die ihm tatsächlich einen Streich gespielt haben. Die zwei waren ihm so hoffnungslos unterlegen, in jeglicher Hinsicht …
Obwohl, Pérenn zumindest besaß eine Fertigkeit, mit der er selbst die Großmeister ausstach. Niemand war so findig wie er, was den Umgang mit Giften betraf. Sowohl der Gebrauch von gewöhnlicher Medizin als auch die Entwicklung neuer Tötungsarten war seine Spezialität. Er schien regelrecht zu riechen, wie viel Wirkstoff in Pflanzen und Mineralien vorhanden war, und fertigte mit unglaublicher Präzision Schlaf- und Waffengifte an, Tinkturen, die heilten, töteten, Schmerzen verursachten … Es war nicht der Weg der Am’churi, zu solchen Mitteln zu greifen, dennoch mussten sie in der Lage sein, Gifte zu erkennen wie auch herzustellen, Antidote zu entwickeln, im schlimmsten Fall die Auswirkungen zu behandeln und dadurch den nahenden Tod zu verhindern.
Wenn Pérenn nun …?
Seufzend wandte sich Jivvin zur Tür. Er würde ja doch keine Ruhe finden, bevor er nicht nachgesehen hatte!
Auf dem Gang war alles still. Man hörte zwar Geräusche aus einigen Zimmern. Manche hatten sich zu zweit oder mehreren zusammengesetzt und unterhielten sich leise, andere waren mit Waffenübungen beschäftigt; doch nichts davon klang verdächtig, und niemand sonst hielt sich außerhalb seines Raumes auf. Hier im Haus der Adepten gab es keine Kontrollen. Die Meister hielten sie für fähig, selbst zu entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt zum Schlafen gekommen war. Wer die ganze Nacht mit Lernen oder Feiern verbrachte, musste die Konsequenzen am Morgen ertragen. Streitigkeiten regelten die jungen Männer unter sich, es kam selten vor, dass sie die Hilfe eines Meisters benötigten.
Lautlos schritt Jivvin durch die Gänge, bis er die nebeneinanderliegenden Zimmer von Pérenn und Kamur erreichte. Die beiden waren gleichzeitig in den Tempel gekommen und seither unzertrennliche Freunde. Er hörte ihre Stimmen, sie saßen in Pérenns Zimmer zusammen. Es klang, als würden sie eine Partie Hoga spielen: Ein Geschicklichkeitsspiel mit Holzstäbchen und Plättchen, das eine ruhige Hand erforderte. Würden sie etwas so Harmloses beginnen, wenn sie gerade einen tödlichen Anschlag auf einen Waffenbruder verübt hatten, egal, wie verhasst der war? Wohl kaum!
Trotzdem schlich Jivvin weiter, bis er vor Ni’yos Zimmer stand. Es befand sich ein wenig abseits von den anderen, getrennt durch den gemeinschaftlichen Waschraum.
Kein Laut war zu hören, durch den Spalt am Boden fiel kein Licht. Ob Ni’yo schon schlief? Eigentlich hatte Jivvin vorgehabt, zu klopfen und nach einem Buch zu fragen, von dem er wusste, dass der Junge es sich von Leruam geliehen hatte. Er zögerte. Wenn er Ni’yo aus dem Schlaf riss, konnte das böse Folgen haben …
Noch einmal presste er das Ohr gegen die Tür, lauschte mit aller Macht; dann wandte er sich um und ging zurück in sein Zimmer.
Vielleicht wäre es nicht falsch, ebenfalls früh schlafen zu gehen?
Sicherlich habe ich die letzten Tage zu viel gelernt und sehe jetzt schon Gespenster!
Es herrschte tiefe Nacht. Jivvin schreckte hoch, ohne zu wissen warum. Er hatte keinen Alptraum gehabt, nichts war zu hören. Und dennoch hatte irgendetwas ihn
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