Die Ehre der Am'churi (German Edition)
Körper damit fertig geworden ist?“, zischte Jivvin fassungslos. „Warum bittest du nicht um Hilfe? Ist es dir peinlich, dass der große Krieger eben doch nicht unbesiegbar zu sein scheint?“
„Lass mich los!“, flüsterte Ni’yo und drehte sich weg, so weit er konnte. Es war eher Flehen als Befehl. „Du verstehst das nicht.“
„Nein, ich kann das wirklich nicht verstehen! Macht es Spaß, solche Schmerzen zu leiden? Bist du stolz darauf, keine Hilfe zu brauchen? Warum klagst du die beiden Bastarde nicht an?“ Jivvin merkte, dass er in seiner Wut laut wurde. Das fehlte noch, dass jemand ihn hörte und hier fand!
„Leruam weiß es. Ich bin zu ihm gegangen, nach dem ersten Mal. Es waren nicht nur Pérenn und Kamur, sondern noch andere. Sie hatten mich abgepasst, nachdem ich für Großmeister Tamu eine Besorgung im Dorf erledigt hatte und gerade zurückkam. Ganz allein, niemand in der Nähe … da sind sie auf mich los.“
„Du bist besser als jeder Adept hier.“
„Aber nicht gut genug gegen sieben von ihnen“, murmelte Ni’yo. „Sie haben mich zusammengeschlagen, bis ich mich nicht mehr rührte, und dann einfach liegen gelassen. Ich ging zu Leruam, klagte sie an. Er sah, dass ich nicht log. Seine Worte dazu waren: Wenn du zu langsam bist, schimpfe nicht über jene, die schneller sind, sondern streng dich mehr an. Wenn du zu schwach bist, stähle deinen Körper. Wenn deine Feinde zu zahlreich sind, werde besser als sie alle.“
„Sie wurden nicht bestraft?“ Ungläubig schüttelte Jivvin den Kopf. Erst vor einigen Monaten war ein Adept hart gerichtet worden, weil er hinterrücks einen Kameraden angegriffen hatte. Der war dabei noch nicht einmal verletzt worden, es ging allein um die ehrlose Absicht. Wenn sieben Adepten einen einzelnen, wesentlich Jüngeren angriffen und schwer verletzt liegen ließen, dazu noch außerhalb des Schutzes, den der Tempel bot …
„Nein. Ich wurde bestraft, ich musste vier Wochen lang zusätzlichen Arbeitsdienst leisten, weil ich meine Waffenbrüder verraten habe.“ Ni’yo biss sich auf die Lippen und drehte wieder den Kopf zu Seite.
„Ich kann das nicht glauben!“
„Dann lass es.“
„Ni’yo, ich bitte dich! Niemand bestraft ein Opfer dafür, dass es fast umgebracht wurde.“
„Ich lüge nicht!“, fauchte der Junge, viel zu laut. Hastig legte Jivvin ihm eine Hand auf den Mund. Die Angst, die für den Bruchteil eines Augenblicks in Ni’yos Augen aufflackerte, traf ihn tief.
„Nicht so laut! Wenn mich jemand hier findet, in dem Zustand, in dem du bist …“
„… wird dich jeder beglückwünschen, Jivvin. Sei unbesorgt, die einzige Gefahr würde von Pérenn und Kamur drohen, die sicherlich wütend wären, dass sich jemand mit ihrem Erfolg schmückt.“
Verblüfft wich Jivvin von ihm zurück. Nicht einmal die Tatsache, dass Ni’yo wohl Recht hatte, verwirrte ihn, es war mehr der Tonfall, in dem der Junge sprach. Nicht verbittert, oder zornig, eher so, als würde er eine allgemein bekannte Weisheit erklären müssen und sich darüber wundern.
„Warum bist du hier, Jivvin?“, fragte er plötzlich. „Wenn du doch fürchtest, für etwas angeklagt zu werden, was du nicht getan hast, warum bist du hier? Warum hilfst du mir, statt die gute Gelegenheit zu nutzen, deinen Hass auszuleben?“
Er schien tatsächlich interessiert zu sein. Etwas an der gesamten Situation war so unwirklich, so unnatürlich, dass Jivvin sich ernstlich fragte, ob er gerade träumte.
„Ich wollte verhindern, dass du stirbst“, erwiderte er langsam. „Wenn du eines Tages getötet wirst, dann durch meine Hand. Ich gewinne nichts, wenn du durch die Grausamkeit anderer umkommst. Außerdem finde ich das hier … unehrenhaft. Was die beiden da treiben, ist widerwärtig, eines Am’churi unwürdig. Verdammt, wenn sie dich einfach normal angegriffen und besiegt hätten, wäre ich der erste, der ihnen gratulieren würde. Wie können sie es wagen, zu solchen Mitteln zu greifen? Spaß an so etwas zu haben?“
„Es ist meine Schuld“, flüsterte Ni’yo. „Ich rufe das Böse in den Menschen wach, sie können nichts dafür. Ich muss einfach lernen, schneller, stärker und besser zu werden. Giften auszuweichen, Gefahren und Fallen zu erkennen, noch bevor sie gelegt wurden.“
„Wer sagt, dass es deine Schuld ist?“, schnaubte Jivvin verächtlich.
„Am’chur.“
Einen Moment lang starrten sie einander an. Dann rollte Ni’yo sich mühsam auf die Seite.
„Lass mich, Jivvin.
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