Die Ehre der Slawen
des Kaisers arbeitete und dieser sich mühte, seine würdevolle Haltung wiederzufinden. Derartige Unbeherrschtheiten des Kaisers passierten nicht oft, aber wenn doch, dann spielte jedermann mit seinem Leben, der jetzt in Ungnade fiel.
Ein freundliches Lächeln auf den Lippen des Grafen und ein verständnisvolles Kopfnicken wirkten bei Otto wahre Wunder. Seine Züge entspannten sich zusehends, und wenn er auch noch zu keinem Lächeln fähig war, so war er doch wieder in der Lage, seinem Untertanen sachlich zuzuhören. Nur noch ein kurzer verstehender Augenaufschlag und Liuthar hatte es geschafft. Der Kaiser brachte sich wieder unter Kontrolle und erteilte dem Grafen mit der gewohnt ruhigen Geste das Wort.
»Mein treuer Liuthar, fürwahr, Ihr seid einer der wenigen, dessen Worte meiner Ohren Balsam sind. Sprecht und lasst mich an Euren gewichtigen Gedanken teilhaben.«
Der Graf bedankte sich artig mit einer leichten Verbeugung und versuchte einzulenken: »Seit dem großen Siege Eures seligen Vaters über die Wenden und natürlich nicht zu vergessen, auch unter Eurer weisen Herrschaft, mein Kaiser, hat es doch den Anschein, als wenn die Heiden sich an den Gehorsam gegen uns gewöhnen wollten.«
Ein künstlich aufgesetztes, höhnisches Gelächter des Markgrafen unterbrach Liuthars Ansprache. In seinen Augen glomm ein eiskaltes Feuer.
»Schweigt und lasst den Edlen von Walbeck sagen, was ihn bewegt!«, wies der Kaiser den Markgrafen streng zurecht.
Thietmar, oben auf der Galerie, fröstelte.
»Also«, suchte Liuthar den verlorenen Faden wiederzufinden, »zumindest ist mir in der letzten Zeit nichts zu Ohren gedrungen, was auf neue Kämpfe oder Erhebungen hinweisen sollte. Statt einer Strafexpedition nachzugeben, wie es unser ehrbarer Markgraf fordert, sollten wir lieber die Gelegenheit ergreifen, um die armen Ungläubigen zu läutern. Lasst uns neue Gotteshäuser und Klöster, jenseits von Havel und Elbe, bis hoch zum Mare Balticum, errichten. Lasst uns viele gute Missionare schicken, um die Heiden mit Geduld und Liebe zu bekehren und Ihr werdet es sehen, mein Kaiser, mit welcher Freude die Wenden uns und unserem Heiland eines Tages dienen werden. Ihre jährlichen Steuern, und noch viel mehr dazu, werden sie uns freiwillig und ohne jeglichen Zwang zu Füßen legen. Sie werden Seite an Seite mit uns gegen all unsere Feinde zu Felde ziehen und sie werden, zum größten Vorteil unseres heiligen Reiches, ein kaum überwindliches Bollwerk an der nordöstlichen Grenze unseres Landes bilden.«
Aufmerksam lauschte der Kaiser dieser herrlichen Zukunftsvision und ein verklärtes Lächeln spielte um seine Züge. Wie sehr wünschte er sich endlich Frieden und Wohlstand im ganzen Reiche. Und auch wenn das Problem mit dem Wendenland nur eines von vielen war, so würde eine gefestigte Nordostgrenze ihm doch den Rücken für andere, wichtigere Dinge frei halten.
Im Moment sah die Realität jedoch ganz anders aus und für einen kurzen Augenblick schien es, als ob die ungeheure Last der Verantwortung den jungen Kaiser schier erdrücken wollte. Von den alltäglichen Sorgen und Nöten abermals eingeholt griff Otto nach einem neuen Pokal und leerte ihn in einem Zuge. Der bisherige, nicht unerhebliche Ausfall an Steuergeldern des Wendenlandes schmerzte ihn sehr, besonders jetzt, wo er doch dem Heiligen Vater zu Rom, Papst Benedikt den VII., Waffenhilfe gegen die Sarazenen gelobt hatte. Die nicht enden wollenden Streitereien und Machtkämpfe seiner Gefolgsleute taten ein Übriges. Kaum hatte er seinen Vetter, Heinrich von Bayern, des Throns enthoben, als auch schon wieder die wilden Dänen unter König Harald Blauzahn die Nordgrenzen brandschatzten. Die stetigen Übergriffe der Polen im Osten, die erneuten Unruhen der Böhmen im Süden – all diese Dinge spannten Ottos Nerven immer wieder auf eine neue Zerreißprobe.
Im Grunde genommen bedeutete dies nichts anderes als Krieg, Krieg und nochmals Krieg. Aber all die vielen Schlachten kosteten Geld, Unmengen von Geld. Waffen mussten geschmiedet werden, die Soldaten, Knechte und Mägde wollten beköstigt werden, kräftige Schlachtrösser wurden gebraucht und nicht zuletzt verlangte der kämpfende Adel eine standesgemäße Entlohnung und Beköstigung. Und ausgerechnet in diesen schweren Zeiten wagten es die Wenden, ihren Tributpflichten nicht in der gebührenden Höhe nachzukommen. Wen wunderte es, wenn da der Kaiser seine Beherrschung verlor.
Markgraf Dietrich
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