Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Die Eifel sehen und sterben
Ich habe alles genau berechnet. Es kann nichts schiefgehen.
Es wird alles gut werden.
Ich bücke mich und binde langsam die Schnürsenkel meiner Wanderstiefel auf. Ich ziehe die Füße aus den Stiefeln und streife erst den linken Socken ab, schüttele ihn aus, falte ihn und stopfe ihn in den Stiefel. Ich mache immer erst alles links, ehe ich es rechts mache. Ich stelle die Stiefel ordentlich nebeneinander, die Spitzen zeigen Richtung Ufer.
Der Boden ist feucht und hart. Meine Füße sind frisch gewaschen, weiß ist die Haut, die Zehennägel sind sorgfältig geschnitten. Ich kremple meine Hosenbeine bis zu den Waden auf. Ein paar lange, dunkle Haare richten sich auf. Ich blicke auf meine Uhr.
14.35 Uhr
Noch 25 Minuten.
Zu Hause auf dem Küchentisch liegt ein Zettel mit den exakten Angaben über das Wann, Wie und Wo. Sie weiß, dass ich immer zu meinem Wort stehe. Sie hat also keinen Grund daran zu zweifeln, wenn sie liest, was ich geschrieben habe:
Meine über alles geliebte Sylvia!
Ich kann ohne dich nicht leben
.
Ich werde mir um Punkt 15 Uhr an der Stelle, an der wir letzten Sonntag gesessen haben und du es mir gesagt hast, das Leben nehmen
.
Ich wünsche dir alles Glück der Welt! Und vergiss nie: Ich verstehe dich
.
Dein Eduard
.
Ich habe alles genau berechnet.
Wann?
Um 13.00 Uhr hat sie Feierabend. Bis nach Hause hat sie eine knappe Viertelstunde Fußweg. Von unserem Haus in Bonn in die Eifel nach Schalkenmehren sind es exakt 103,5 Kilometer. Mit ihrem Auto braucht sie dafür eine gute Stunde. Wenn sie oben auf der Maarstraße neben meinem Auto hält, braucht sie noch einmal fünf Minuten zu Fuß bis hier hinunter zur mir ans Ufer.
Wie?
Ins Wasser zu gehen ist für einen Nichtschwimmer eine ziemlich endgültige Sache
Wo?
Einen besseren Ort konnte ich nicht wählen. Letzten Sonntag haben wir einen Ausflug hierher an die drei Maare gemacht. Zuerst zu den Weinfelder und Gemündener Maaren, zuletzt haben wir am Ufer des Schalkenmehrener Maars eine Rast eingelegt, lange schweigend und gedankenverloren auf die glitzernde Wasseroberfläche geblickt, als sie mir zögernd gestand, sie habe sich neu verliebt. Der Auserkorene sei ihr Chef.
Sie hat sich in einen EDEKA-Filialleiter verliebt! Wie kann sie mir das antun?
Während sie von ihm sprach, verwandelte sich das Maar vor meinen Augen in ein schwarzes Loch.
Er sei ganz anders als ich. Mehr wie sie selbst. Es mache sie einfach glücklich, mit ihm zusammen zu sein. Sie habe es nicht gewollt, es sei einfach passiert. Wie solche Dinge eben passieren.
Als ich nichts sagte, fragte sie mich, was nun werden solle.
»Du musst dich entscheiden«, verlangte ich. »Er oder ich.«
»Er«, sagte sie, ohne lange zu überlegen. »Ich kann nicht anders. Versteh mich, bitte«, bat sie und erinnerte mich ausgerechnet in diesem Moment an unsere Vereinbarung.
Ich selbst war es gewesen, der eines Tages nach einem langen, erbitterten Streit durchgesetzt hatte, dass wir mit dem kleinen, klugen Satz »Ich verstehe dich« jede Auseinandersetzung im Keim ersticken sollten.
»Ich versteh’ dich ja«, behauptete ich also vereinbarungsgemäß, sprang auf, lief mit schnellen Schritten zum Parkplatz zurück, stieg ins Auto, fuhr ohne sie nach Hause.
Seitdem haben wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. Mit wachsender Unruhe beobachtete ich, wie sie begann, ihre Sachen zu ordnen und zu packen. Niedergeschlagen war sie, das schlechte Gewissen in Person, aber fest entschlossen.
Sie ist auf einem Irrweg, warum merkt sie es nicht? Der Neue wird sie enttäuschen, keiner versteht sie so wie ich. Sie ist blind vor Liebe, sie rennt in ihr Unglück, sie wird untergehen.
Ich kann nicht tatenlos dabei zusehen. Es ist meine Aufgabe, sie auf den rechten Weg zurückzuführen. Notfalls mit drastischen Mitteln. Und in meinem Kopf reifte dieser Plan, den ich mich gerade anschicke auszuführen.
Ich blicke mich um. Weder zu Lande noch zu Wasser gibt es Personen. Auch im Himmel über mir entdecke ich nur Wolkenberge. Ich habe für mein Vorhaben nicht umsonst einen Montag gewählt.
Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen, weiche Kieselsteine und stachliges Unkraut, bis ich endlich am Ufer stehe und die erste kleine Welle meine Zehen umspült. Ich zucke zurück. Eisig ist das Wasser, obwohl es ein Montag im Juni ist. Es wird nicht leicht werden. Aber so ist das Leben.
Und dennoch war es gut – bis letzten Sonntag. Sylvia und ich sind ein
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