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Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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bemerkte. Zumindest nicht bis zu dem Moment, da sie Erics Stimme hörte, der von irgendwoher in der dichten Nebelmasse nach ihr rief.
    Erst als sie aufsprang, spürte sie etwas Schweres im Schritt ihrer Unterhose. Unwillkürlich griff sie sich an den Hintern, doch durch den dicken Handschuh ließ sich nichts ertasten. Aber das war auch nicht mehr nötig, sie hatte es ohnehin schon begriffen.

    Was mache ich denn jetzt?
    Wieder rief Eric nach ihr. Alice antwortete nicht. Solange sie hierblieb, würde der Nebel sie vor den Blicken der anderen verbergen. Sie konnte die Hose ihres Skianzugs herunterlassen und sich notdürftig mit Schnee den Hintern säubern. Oder sie könnte zu Eric gehen und ihm ins Ohr flüstern, was ihr da passiert war. Sie hätte ihm auch sagen können, dass ihr ein Knie wehtue und sie runter ins Dorf müsse. Oder sie könnte so tun, als wenn nichts geschehen wäre, und versuchen, mit den anderen Ski zu fahren, wobei sie darauf achten musste, dass sie nicht den Anschluss verlor.
    Stattdessen blieb sie hocken, wo sie war, im Schutz des Nebels, darauf bedacht, nicht die kleinste Bewegung zu machen.
    Zum dritten Mal rief Eric jetzt nach ihr, diesmal noch lauter.
    »Die ist so blöd, die ist bestimmt schon zum Skilift weiter«, antwortete ein Junge an ihrer Stelle.
    Alice hörte Stimmengewirr. Lasst uns gehen, sagte jemand, bei dem Rumstehen wird mir kalt, ein anderer. Sie konnten ganz in der Nähe sein, nur ein paar Meter entfernt, oder auch noch bei der Station der Sesselbahn. Der Nebel täuschte, die Klänge hallten von den Felsen wider, wurden vom Schnee verschluckt.
    »Verflixt noch mal, was macht die nur …? Wir müssen nach ihr schauen«, hörte sie wieder Erics Stimme.
    Alice zählte langsam bis zehn und unterdrückte dabei den Brechreiz, der sie überkommen hatte, als sie diese klebrigweiche Masse die Oberschenkel hinunterrinnen spürte. Bei zehn angekommen, begann sie noch einmal von vorn und zählte nun bis zwanzig. Jetzt war kein Geräusch mehr zu hören.

    Sie nahm ihre Skier und trug sie auf dem Arm bis zur Piste. Sie brauchte eine Weile, bis sie begriffen hatte, wie sie die Bretter in den Schnee legen musste, um genau quer zum Hang zu stehen. Bei diesem Nebel wusste man kaum, wo oben und unten war.
    Sie schnallte die Schuhe fest und ließ die Bindung einrasten. Dann nahm sie die Brille ab und spuckte hinein, weil sie beschlagen war.
    Sie würde allein zu Tal fahren. Es war ihr egal, dass Eric am Gipfel des Fraitève nach ihr suchte. Keine Sekunde länger als nötig wollte sie in dieser von Scheiße durchtränkten Strumpfhose stecken. Zwar war sie noch nie allein abgefahren, aber sie hatten ja schließlich nur den Sessellift genommen, und diese Piste hatte sie schon Dutzende Male geschafft.
    Im Pflug begann sie hinunterzurutschen, das war ungefährlicher, und zudem hatte sie mit gespreizten Beinen das Gefühl, weniger besudelt zu sein. Am Vortag noch hatte Eric zu ihr gesagt: Wenn ich dich noch einmal eine Kurve im Schneepflug fahren sehe, binde ich dir die Knöchel zusammen. Das schwör ich dir.
    Eric mochte sie nicht. Da war sie sich ziemlich sicher. Er hielt sie für einen Hosenscheißer. Und die Ereignisse hatten ihm ja auch noch recht gegeben. Ihren Vater mochte Eric ebenfalls nicht, weil der ihn täglich nach dem Kurs mit einer Milliarde Fragen bedrängte: Und? Was macht unsere Alice? - Und? Macht sie Fortschritte? - Und? Haben wir einen neuen Champion unter uns? - Und? Wann kann sie die ersten Rennen fahren? - Und dies und das. Eric starrte währenddessen immer auf einen Punkt auf der Schulter ihres Vaters und antwortete mit Ja, Nein oder einem lang gezogenen Nun …
    Alice sah die ganze Szene wie in einer Überblendung auf
der Nebelleinwand vor ihr ablaufen, während sie langsam den Hang hinabglitt. Über die Skispitzen hinaus war nichts zu erkennen, und dass sie die Richtung ändern musste, merkte sie nur daran, dass sie im Tiefschnee landete.
    Um sich nicht so allein zu fühlen, begann sie zu singen, und hin und wieder wischte sie sich mit dem Handschuh den Schleim unter der Nase fort.
    Körpergewicht zum Hang, Stock in den Schnee und kurven. Stemm dich auf die Schuhe. Nun das Gewicht nach vorn, verstanden? Ge-wicht-nach-vorn, hörte sie die Ermahnungen Erics und ihres Vaters.
    Der würde fuchsteufelswild werden, ihr Vater. Und sie musste sich eine gute Ausrede zurechtlegen. Eine Geschichte, die hieb- und stichfest war, keine Lücken oder Widersprüche aufwies. Nicht im Traum

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