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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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und ich begriff, daß das Geräusch aus den Tiefen meiner Aktentasche kam. Stöhnend erinnerte ich mich an meinen Termin in der Kanzlei. Ich war fünfzehn Minuten zu spät. »Wo zum Teufel steckst du?« bellte Stephen, als ich mich meldete.
    »Mein Wagen hat den Geist aufgegeben. Mitten auf dem Highway. Im dichtesten Verkehr.«
    »Himmelherrgott, Ellie, für so was gibt’s doch Taxis!«
    Es verschlug mir die Sprache. Kein »Mein Gott, ist dir was passiert?«. Kein »Soll ich kommen und dir helfen?«. Ich warf einen Blick auf die verbogenen Innereien, die einmal der Motor meines Autos gewesen waren, und empfand plötzlich einen seltsamen Frieden. »Ich werd es heute wohl nicht mehr schaffen«, sagte ich. Stephen seufzte. »Tja, vielleicht kann ich John und Stanley ja überreden, einen neuen Termin festzusetzen. Ich ruf dich gleich zurück.«
    Die Leitung wurde unterbrochen, und ich ging wieder zu meinem Wagen.
    Plötzlich sah ich in Gedanken noch einmal den Pick-up, der auf dem Highway hinter mir gewesen war, hupend und schlingernd; die anderen Autos, die sich um meinen Wagen herumschlängelten, wie Wasser um einen Stein. Ich roch den heißen, welligen Asphalt, weich unter meinen spitzen Absätzen, als ich zittrig über den Highway stöckelte. Ich glaubte nicht unbedingt an Schicksal, aber das war so knapp gewesen, ein deutliches Zeichen; als hätte ich im wahrsten Sinne des Wortes gebremst werden müssen, bevor mir klar wurde, daß ich in die falsche Richtung unterwegs war. Nachdem mein Wagen liegengeblieben war, hatte ich die Polizei und etliche Werkstätten angerufen, aber mir war nicht der Gedanke gekommen, Stephen anzurufen. Irgendwie hatte ich gewußt, daß ich selbst etwas unternehmen mußte, wenn ich gerettet werden sollte.
    Das Telefon klingelte erneut. »Gute Nachrichten«, sagte Stephen, bevor ich mich gemeldet hatte. »Die hohen Herren sind bereit, sich heute abend um sechs mit dir zu treffen.«
    Im selben Augenblick wußte ich, daß ich fortgehen würde.
    Stephen half mir, meine Sachen im Kofferraum zu verstauen. »Ich verstehe das vollkommen«, sagte er, obwohl es nicht stimmte. »Du willst etwas Zeit für dich haben, bevor du dich entscheidest, welchen Fall du als nächsten annimmst.«
    Ich wollte ein bißchen Zeit für mich haben, bevor ich mich entschied, ob ich überhaupt wieder einen Fall übernehmen wollte, aber das lag jenseits von Stephens Vorstellungswelt. Man studierte nicht Jura, machte ein gutes Examen, arbeitete wie verrückt und gewann einen großen Fall, nur um schließlich seine Berufswahl in Zweifel zu ziehen. Aber da war noch etwas anderes: Stephen konnte nicht akzeptieren, daß ich vielleicht für immer fortging. In unseren acht gemeinsamen Jahren hatten wir zwar nicht geheiratet, aber wir hatten uns auch nie getrennt.
    »Rufst du mich an, wenn du angekommen bist?« fragte Stephen, doch bevor ich antworten konnte, küßte er mich. Unsere Lippen trennten sich, als würde eine Naht aufgerissen. Dann stieg ich in den Wagen und fuhr los.
    Mag sein, daß andere Frauen in meiner Situation – unglücklich, uneins mit sich selbst und kürzlich in den Besitz einer größeren Geldsumme gelangt – sich für ein anderes Ziel entschieden hätten. Karibik, Paris, vielleicht sogar eine der Selbstfindung dienende Wanderung durch die Rocky Mountains. Für mich jedoch war klar, wohin ich mich zurückziehen wollte: Ich würde in Paradise, Pennsylvania, Zuflucht suchen. Als Kind hatte ich jeden Sommer dort eine Woche auf der Farm meines Großonkels verbracht, der nach und nach große Teile seines Landes verkauft hatte, bis er schließlich starb. Dann zog sein Sohn Frank in das Haupthaus, pflanzte auf den ehemaligen Maisfeldern Gras an und machte eine Tischlereiwerkstatt auf. Frank war so alt wie mein Vater und hatte lange vor meiner Geburt Leda geheiratet.
    Ich könnte gar nicht mehr genau sagen, wie ich mir die Zeit vertrieb, wenn ich im Sommer in Paradise war, aber unvergeßlich ist mir in all den Jahren geblieben, was für eine friedliche Ruhe im Haus von Leda und Frank herrschte und mit welcher Selbstverständlichkeit Dinge erledigt wurden. Zuerst dachte ich, es läge daran, daß Leda und Frank keine eigenen Kinder hatten. Später erkannte ich dann, daß es mit Leda selbst zu tun hatte: Sie war als Amische aufgewachsen.
    Man konnte nicht den Sommer in Paradise verbringen, ohne mit den Amischen der Alten Ordnung in Kontakt zu kommen. Sie waren ein fester Bestandteil von Lancaster County. Die

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