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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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sich, den wahren Wert
ihres Gepäcks anzugeben. Nachdem klar war, dass sie von der
Bank keine weiteren Aufträge bekommen würde, bereute sie
das zutiefst.
    Einmal noch hatte sie mit
Friðrikka telefoniert. Ihre Stimme hatte ganz anders geklungen
als vorher, und Dóra vermutete, dass sie Medikamente bekam.
Sie bat Dóra, ihr dabei zu helfen, die Strafe in Island
absitzen zu dürfen, weil sie es in Grönland nicht
aushielt. Sie fragte auch nach der Katze, und als Dóra ihr
versicherte, der gehe es prächtig, wirkte sie erleichtert.
Friðrikka fragte nach Arnar, und Dóra erzählte
nicht, dass sie in der letzten Zeit aufmerksam die Todesanzeigen
verfolgt hatte. Wahrscheinlich wollte sich Arnar erst umbringen,
wenn das Urteil durch beide Instanzen war, um sicherzugehen, dass
Naruana am Ende möglichst gut dastand. Vielleicht hatte er
aber auch seine Meinung geändert oder den Mut verloren.
Dóra hoffte es zumindest, obwohl er am Telefon sehr
überzeugend geklungen hatte. 
    Dóra war einmal der
Versuchung erlegen, Oqqapia anzurufen. Die erzählte stolz,
Naruana habe wieder angefangen zu jagen, zwar nur mit anderen
gemeinsam in einem Boot, aber immerhin. Igimaq habe die Knochen
seiner Tochter ausgehändigt bekommen und wolle sie zur letzten
Ruhe betten. Bei der Untersuchung der Knochen habe man keine genaue
Todesursache feststellen können, aber alles deute darauf hin,
dass sie an dieser Krankheit, über die alle reden, gestorben
sei.
    Gegen Ende des Gesprächs
fragte Dóra die Frau vorsichtig, ob Naruana eine
Erklärung darüber abgegeben habe, warum er dieses
Mädchen mit ins Camp genommen hatte. Oqqapias Antwort war
genauso naiv wie ihre Beschreibung der Spanischen Grippe. Er hatte
sich von den Eltern des Mädchens den Schlitten geliehen, unter
der Bedingung, dass er es mitnahm. Dóra fragte nicht, was
für Eltern das seien, die ihr Kind mit einem Betrunkenen auf
dem Motorschlitten herumfahren ließen. Die Antwort lag auf
der Hand. Solche Eltern waren noch betrunkener als der Fahrer. Aber
es gab auch Positives: Das Mädchen war zur Untersuchung ins
Krankenhaus nach Nuuk gebracht worden, da es das Blutbad
mitangesehen hatte und womöglich infiziert worden war. Dort
beschloss man, ihr entstelltes Gesicht zu operieren. Die Tatsache,
dass das Kind sang, gab Anlass zu der Hoffnung, dass es mit der
richtigen Behandlung und Therapie auch seine Sprechfähigkeit
zurückerlangen könnte. Die Eltern waren nach Nuuk
gezogen, um sich um ihr Kind zu kümmern, und hatten Oqqapia
und Naruana zum Abschied den Motorschlitten geschenkt. Dóra
versuchte gar nicht erst, das alles zu verstehen. Schließlich
war es am wichtigsten, dass sich diese Leute nach und nach ein
besseres Leben erkämpften. So schwer es auch war.
    Es klopfte an der Tür und
der zukünftige Ex-Mann von Dóras Scheidungsfall trat
ein. »Hallo, bin ich zu spät?«
    »Nein, du kommst genau
richtig.« Dóra lächelte. »Nimm bitte Platz.
Es ist alles vorbereitet.«
    Igimaq ließ seinen Blick
über das Eis schweifen. Die Höhle lag hinter ihm, wodurch
die Landschaft ein Stück ihrer Faszination
einbüßte. Was hatte man von der Schönheit, die vor
einem lag, wenn hinter einem das Böse lauerte? Er trug die
Knochen seiner Tochter. Sie waren in ein prächtiges
Seehundfell gewickelt, das er vor vielen Jahren gegerbt hatte.
Eines der schönsten, die er je gesehen hatte. Niemand wusste
das zu schätzen, deshalb hatte er es nie aus der Hand gegeben
und es für bessere Zeiten aufbewahrt. Und jetzt war die Zeit
gekommen. Das Fell würde die Knochen vor Gefahren in der
Höhle schützen, bis alles vorbei war, bis das Land
schmolz und im Meer versank. Er und der Hund würden dann schon
längst nicht mehr da sein.
    Der Hund jaulte und wollte
diesen verfluchten Ort hinter sich lassen. Igimaq hatte mit
angesehen, wie seine Tochter gelitten und geweint hatte, wie sie
ihn angefleht hatte, im Dorf Hilfe zu holen. Aber es gab keine
Hilfe. Als sie das verbotene Gebiet entgegen den Anweisungen ihres
Vaters betreten hatte, waren sie aneinandergeraten, und er war
immer noch wütend auf sie, als sich die Zeichen zeigten und
ihre Haut sich bläulich verfärbte. Zu dem Zeitpunkt war
sie bereits geschwächt, und Igimaq hatte sich mit Sikki
beraten, der keinen Zweifel hegte, was getan werden musste, im
Gegensatz zu später, als es um die Arbeitsplätze ging.
Igimaq weigerte sich nicht, schleifte seine todkranke Tochter
zurück in das Gebiet und zwang Naruana, ihm dabei zu helfen.
Schließlich würde

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