Die Eisprinzessin schläft
repräsentative Ehefrau zu sein. Das Problem war nur, daß Lucas ein Mensch war, der sich nie mit etwas zufriedengab. Anna hatte von klein auf immer nur das gemacht, wozu sie selbst Lust hatte. Doch seit sie Lucas kannte, war ihre eigene Persönlichkeit wie ausradiert. Bis die Kinder geboren wurden, hatte Erica immer noch gehofft, daß die Schwester Vernunft annehmen, Lucas verlassen und ein eigenes Leben beginnen würde, aber als erst Emma und dann Adrian zur Welt kamen, hatte sie begriffen, daß der Schwager leider gekommen war, um zu bleiben.
»Ich schlage vor, daß wir das Thema Lucas und seine Ansichten zur Kindererziehung beiseite lassen. Was haben Tantes Lieblinge seit dem letzten Mal so angestellt?«
»Tja, nur das Übliche, du weißt … Emma hatte gestern eine Wahnsinnsidee, und es ist ihr gelungen, Kindersachen im Wert eines kleinen Vermögens zu zerschneiden, bis ich sie dabei erwischt habe, und Adrian hat drei Tage lang ununterbrochen geschrien oder sich erbrochen.«
»Das klingt, als könntest du einen Tapetenwechsel gebrauchen. Kannst du nicht die Kinder nehmen und für eine Woche herkommen? Außerdem hätte ich nichts gegen ein bißchen Hilfe, um das eine oder andere durchzugehen. Wir müssen uns ja auch bald um die Papiere und all das kümmern.«
»Jaa, wir wollten sowieso mit dir über die Sache reden.«
Wie immer, wenn Anna sich gezwungen sah, etwas Unangenehmes zur Sprache zu bringen, begann ihre Stimme spürbar zu zittern. Erica war sofort auf der Hut. Dieses »wir« hörte sich unheildrohend an. Sobald Lucas die Hand im Spiel hatte, ging es normalerweise um etwas, das ihn selber begünstigte und allen anderen Beteiligten zum Schaden gereichte.
Erica wartete, daß Anna weitersprach.
»Lucas und ich haben doch die Absicht, nach London zurückzuziehen, sobald er die Filiale hier in Schweden ordentlich etabliert hat. Irgendwie hatten wir ja nicht geplant, uns um ein Haus sorgen zu müssen, das man schließlich nicht sich selbst überlassen kann. Auch für dich wird es doch nicht gerade ein Vergnügen, wenn du so ein großes Haus in der Provinz am Hals hast, ich meine ohne Familie und so .«
Das Schweigen war undurchdringlich.
»Was willst du damit sagen?« Erica drehte eine Strähne ihrer lockigen Haare um den Zeigefinger, eine Angewohnheit aus Kindertagen, der sie, wenn sie nervös wurde, nicht ausweichen konnte.
»Jaa . Lucas findet, wir sollten das Haus verkaufen. Wir sehen keine Möglichkeit, uns darum zu kümmern. Außerdem würden wir, wenn wir zurückziehen, ein Haus in Kensington kaufen wollen, und auch wenn Lucas mehr als gut verdient, wäre das mit dem Geld, was wir für Fjällbacka bekommen, schon ein Unterschied. Ich meine, Häuser an der Westküste in dieser Lage gehen ja für mehrere Millionen weg. Die Deutschen sind wie verrückt nach Meeresluft und Seeblick.«
Anna argumentierte immer weiter, aber Erica fühlte, daß sie genug hatte, und sie legte den Hörer langsam, mitten in einem Satz, auf. Ablenkung hatte sie wirklich bekommen.
Sie war für Anna immer mehr eine Mutter als eine große Schwester gewesen. Schon als sie noch klein waren, hatte Erica sie beschützt und auf sie aufgepaßt. Anna war ein richtiges Naturkind gewesen, ein Wirbelwind, der den eigenen Impulsen nachgab, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Erica hatte die Schwester öfter, als sie zählen konnte, aus Situationen gerettet, in die sie sich selbst gebracht hatte. Doch Lucas hatte ihr alle Spontaneität und Lebensfreude ausgetrieben. Das war es vor allem, was Erica ihm nicht verzeihen konnte.
Am nächsten Morgen erschien ihr der vergangene Tag irgendwie unwirklich. Erica hatte tief und traumlos geschlafen, trotzdem hatte sie das Gefühl, kaum ein Auge zugemacht zu haben. Sie war so müde, daß sie sich wie zerschlagen fühlte. Ihr Magen knurrte bedenklich, doch ein rascher Blick in den Kühlschrank überzeugte sie, daß ein Besuch in Evas Supermarkt unumgänglich war, damit sie etwas zu sich nehmen konnte.
Drinnen im Ort war kein Mensch zu sehen, und am Ingrid-Bergman-Platz gab es keinerlei Spuren des lebhaften Betriebs, der hier in den Sommermonaten herrschte. Die Sicht war gut, es war weder neblig noch diesig, und Erica konnte bis zur äußersten Landzunge von Valön sehen, die sich am Horizont abzeichnete und die zusammen mit Kräkholmen jene schmale Öffnung begrenzte, durch die man in die äußeren Schären gelangte.
Erst als sie die Steigung von Galärbacken ein gutes Stück
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