Die Eisprinzessin schläft
gezeichnete Arm hing schlaff auf den Boden hinunter, und die Finger waren in die geronnene Blutlache getaucht. Eine Rasierklinge lag auf dem Wannenrand. Der andere Arm war nur bis kurz über dem Ellenbogen zu sehen, der Rest lag unter dem Eis verborgen. Auch die Knie ragten aus der gefrorenen Oberfläche auf. Alex’ helles Haar lag wie ein Fächer über das Kopfende der Badewanne gebreitet, doch wirkte es in der frostigen Luft spröde und starr.
Erica stand lange da und sah sie an. Sie fror vor Kälte und vor Einsamkeit. Langsam zog sie sich aus dem Zimmer zurück.
Hinterher war ihr, als hätte sich alles wie in einem dicken Nebel abgespielt. Sie hatte den Notarzt auf ihrem Handy angerufen und zusammen mit Eilert gewartet, bis er und der Krankenwagen eingetroffen waren. Sie erkannte die Anzeichen des Schockzustands wieder, genauso war es gewesen, als sie die Nachricht vom Tod ihrer Eltern erhalten hatte, und sobald sie nach Hause kam, goß sie sich einen großen Kognak ein. Vielleicht nicht gerade das Mittel, was der Doktor verschrieben hätte, aber es tat seine Wirkung, und ihre Hände hörten auf zu zittern.
Der Anblick von Alex hatte sie in ihre Kindheit zurückversetzt.
Es war mehr als fünfundzwanzig Jahre her, daß sie beide allerbeste Freundinnen geworden waren, und obwohl Erica seitdem vielen Menschen begegnet war, hatte Alex in ihrem Herzen noch immer einen besonderen Platz. Aber sie waren ja damals noch Kinder gewesen, später als Erwachsene blieben sie sich fremd. Dennoch fiel es Erica schwer, sich mit dem Gedanken abzufinden, daß Alex sich das Leben genommen hatte. Zu dem Schluß war sie nach dem, was sie gesehen hatte, unweigerlich gekommen. Die Alexandra, an die sie sich erinnerte, war eine der lebendigsten und ausgeglichensten Personen gewesen, die sie kannte. Eine schöne, selbstbewußte Frau mit einer Ausstrahlung, die andere Menschen dazu brachte, sich nach ihr umzudrehen. Nach allem, was Erica zu Ohren gekommen war, hatte es das Leben - genau wie sie es sich immer gedacht hatte - äußerst gut mit ihrer Schulfreundin gemeint. Alex führte eine Kunstgalerie in Göteborg, war mit einem Mann verheiratet, der nicht nur blendend aussah, sondern auch Erfolg hatte, und sie wohnten auf der Insel Särö in einem Haus, das an einen Herrensitz erinnerte. Aber irgend etwas war offenbar nicht in Ordnung gewesen.
Erica spürte, daß sie sich ablenken mußte, und wählte daher die Nummer ihrer Schwester.
»Hast du geschlafen?«
»Machst du Scherze? Adrian hat mich seit drei Uhr morgens wach gehalten, und als er gegen sechs endlich eingeschlafen ist, wachte Emma auf und wollte spielen.«
»Konnte nicht ausnahmsweise mal Lucas aufstehen?«
Eisiges Schweigen am anderen Ende der Leitung, und Erica biß sich auf die Zunge.
»Er hat heute eine wichtige Sitzung, und da muß er ausgeruht sein. Im Moment ist außerdem die Situation in der Firma äußerst turbulent, ihnen steht eine kritische strategische Phase bevor.«
Annas Stimme wurde lauter, und Erica konnte einen Unterton von Hysterie vernehmen. Lucas hatte immer eine gute Entschuldigung parat, und Anna hatte ihn wahrscheinlich wortwörtlich zitiert. Ging es nicht um eine wichtige Sitzung, dann war Lucas von all den schwerwiegenden Entscheidungen gestreßt, die er ständig zu treffen hatte, oder er war völlig mit den Nerven am Ende, weil man als erfolgreicher Geschäftsmann - Originalton Lucas - immer unter Druck stand. Die ganze Verantwortung für die Kinder, eine lebhafte Dreijährige und ein vier Monate altes Baby, lag somit bei Anna. Als Erica sie bei der Beerdigung der Eltern getroffen hatte, sah sie zehn Jahre älter aus, als sie mit ihren dreißig Jahren war.
»Honey, don’t touch that.«
»Also im Ernst, meinst du nicht, es wäre an der Zeit, mit Emma schwedisch zu sprechen?«
»Lucas findet, wir sollten hier zu Hause englisch reden. Er sagt, daß wir ohnehin schon wieder in London sein werden, bevor sie in die Schule kommt.«
Erica war es leid, ständig diese Floskel zu hören: »Lucas findet, Lucas sagt, Lucas ist der Meinung, daß …« In ihren Augen war der Schwager ein typisches Beispiel für einen Dreckskerl Erster Klasse.
Anna hatte ihn in London kennengelernt, wo sie als Au pair gewesen war, und sie hatte sich umgehend von dem stürmischen Werben des zehn Jahre älteren erfolgreichen Börsenmaklers Lucas Maxwell umgarnen lassen. Ihre Studienpläne gab sie auf und widmete sich statt dessen der Aufgabe, die perfekte
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