Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
Prolog
I ch finde es nicht gut, erschossen zu werden.
Es ist dafür schlicht und ergreifend zu früh, und irgendwie ist es auch viel zu unvermittelt und unsympathisch. Auch wenn wir hier auf einem Friedhof sind und der Tod somit nicht fern liegt, so bleibe ich dabei, ich will es nicht. Ich will nicht sterben. Und schon gar nicht in Berlin.
Wenn es schon so kommen muss, dann möge es doch bitte im Vogelsberg geschehen, von mir aus auch in der Wetterau, aber nicht hier.
Um mich herum wird aufgeregt geschrien. Ich will auch schreien, doch es kommt kein Ton heraus. Nur die Knie zittern. Mein Vater liegt schon neben mir auf Boden und Bauch, ehe ich mich, da meine Knie nun endgültig nachgeben, zu ihm in die Waagrechte geselle.
Eben gerade noch lauschten wir der Grabrede auf irgendeinen alten Berliner Polizisten, da knallte es. Ein Schuss, fürchte ich.
Ich bin mit einem Mal ganz ruhig. Eine interessante Erfahrung: Wenn ich erschossen werde, bleibe ich also cool. Hätte man vorher nicht unbedingt gedacht. Ich hätte eher erwartet, dass ich in so einer Situation meinem Naturell gemäß zu lamentieren anfinge. Nun, da Selbstmitleid endlich einmal angebracht wäre, mag sich so gar keines einstellen. Schau mal einer an, ich bin also
doch
ein verdammt harter Hund.
Jetzt müsste mich Franziska einmal sehen.
Nun wäre eigentlich zu erwarten, dass in meinem Kopf mein Leben wie ein Film abläuft oder so etwas Ähnliches. Tut es aber nicht. Vielleicht auch besser so. Spannend auch, dass ich im Sterben gar nicht meine Schusswunde spüre.
Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ich gar keine habe. Dass ich gar nicht getroffen wurde.
Aber ich habe eben doch so ein Zischen gespürt, ganz nah an meinem Körper. Ich öffne die Augen, blicke in den Himmel über Berlin.
Ich drehe mich zur Seite und sehe meinen Vater dort liegen. Er liegt mit dem Rücken zu mir gedreht auf der Seite und atmet schwer. Gut, dass meine Mutter nicht mitgekommen ist. Dass sie das hier nicht sehen muss.
«Papa», flüstere ich. «Papa, ist alles in Ordnung?» Langsam dreht er sich um. Wir sehen uns lange an und stellen fest, dass wir leben. Das beruhigt. Ungemein. Trotz aller familiären Spannungen.
«Ein Arzt, ein Arzt, gibt es hier einen Arzt?», schreit plötzlich irgendein Mann in unmittelbarer Nähe. «Hat jemand den Notruf angerufen?»
«Nicht nötig», sage ich. «Meinem Vater und mir geht es gut, wir sind unverletzt.»
Da sehe ich, dass wenige Meter hinter uns einem Mann Blut aus dem Mund läuft.
Kapitel 1
F reundlich und gutgelaunt, ja nahezu beschwingt grüße ich alle Beamten, Wärter und sonstigen Angestellten der Justizvollzugsanstalt 3 Frankfurt-Preungesheim, die ich auf meinem langen Fußweg durch die weitläufigen Gänge zu Gesicht bekomme. Unzählige Türen werden für mich geöffnet und hinter mir wieder verschlossen. Jedes Mal bedanke ich mich höflich.
«Büdde schön», murmelt ein untersetzter, fast kahlköpfiger Wärter und winkt mich durch eine weitere Tür.
«Hey, das gübt’s doch nüch, warte mal», ruft er mir hinterher. «Wenn das mal nüch der Bröhmannhenning ist?»
Ich bleibe stehen und drehe mich um. «Ja?», frage ich leicht verunsichert nach.
«Kennste mich nüch mehr?»
«Nee, sorry, tut mir leid. Ich weiß jetzt nicht …»
«Ich bin’s, der Böschi!»
Der Böschi stiert mich mit erwartungsfrohen Augen und offenem Mund an. Dabei nickt er wild, als könne er meinem Gedächtnis mit dieser Geste auf die Sprünge helfen.
«Der Böschi», ruft er noch mal. «Na? Klingelt’s?»
«Aaaach natürlich, der Böschi», trällere ich und weiß noch immer nicht, wer er ist.
«Endlich», sagt der Böschi, «das wär ja auch ein Ding, wenn du dich nüch mehr an mich erinnern könntest, was?»
«Ja wirklich, das wär ja … also das wär ja … nee, wirklich …?», stottere ich.
«Und was treibt dich hierher?»
«Was?», rutscht es mir etwas zu schnell und hektisch heraus.
«Haste ein Date hier mit einer von den Ladys?»
«Hehe», mache ich und grinse.
Die Situation wird mir langsam, aber sicher zu unangenehm. Bekannte zu treffen, die man nicht mehr erkennt, ist das eine. Ihnen hier und jetzt in diesem Etablissement zu begegnen ist das andere.
«So, ich muss dann wirklich mal los, Bröschi, bin schon etwas zu …»
«Böschi!»
«Was?»
«Böschi, nicht Bröschi», korrigiert er mich ein wenig gekränkt.
«Klar doch», sage ich und reiche meine Hand zum erhofften Abschied,
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