Die Elfen des Sees
ich würde alles tun. Alles!«
»Gemach, gemach.« Die Hohepriesterin schüttelte den Kopf und bedeutete Lya-Numi, sich wieder hinzusetzen. »Es ist noch lange nicht so weit. Um den Weg zu beschreiten, müssen wir den Tempel und die Sümpfe verlassen.«
»Worauf warten wir dann noch? Ich hole nur schnell meine Sachen.« Lya-Numi wollte erneut aufspringen, unterdrückte den Impuls aber im letzten Augenblick.
»Das ist nicht nötig.« Gilraen schüttelte den Kopf. »Es ist alles vorbereitet. Wenn du einverstanden bist, können wir sofort aufbrechen.«
Als Lya-Numi an der Seite der Hohepriesterin den Tempel verließ, standen bereits zwei Priesterinnen und fünf Pferde bereit, um sie auf ihrem Weg durch die Sümpfe zu begleiten. Die Sonne strahlte hoch am Himmel. Es war warm, und das Dickicht der Sümpfe jenseits der Tempelanlage war erfüllt von Leben. Zum ersten Mal spürte Lya-Numi, was Elwren gemeint hatte, als sie bei ihrer Ankunft von der Schönheit der Sümpfe von Numark gesprochen hatte.
Staunend betrachtete sie das urwüchsige Dickicht mit seinen fremdartigen Bäumen und Sträuchern und den vielen Blüten in ihren leuchtenden Farben. Ihr lieblicher Duft überdeckte den modrigen Geruch des immerfeuchten Bodens, der ihr in der Nacht ihrer Ankunft so unangenehm aufgefallen war. Ihr Blick streifte einen riesigen Busch, der so übervoll war mit scharlachroten Blüten, dass es im Sonnenlicht so aussah, als stünde er in Flammen. Andere Pflanzen waren eher klein und wuchsen auf bemoosten Stämmen, die halb im feuchten Erdreich versunken waren. Ihre Blüten aber waren nicht minder prächtig anzusehen; wie Juwelen leuchteten sie im schattigen Unterholz. Im Sumpf gab es eine Vielfalt an Pflanzen, die in der kargen Steppe ihresgleichen suchte und die so viele Insekten und Vögel beherbergte, dass es Lya-Numi unmöglich war, all die Gesänge und Geräusche zu unterscheiden.
Hinter der Hohepriesterin, die die Gruppe anführte, ritt sie langsam auf den verschlungenen und oft nur zu erahnenden Pfaden, die den Hufen der Pferde einen festen Untergrund boten. Wieder musste sie ihre Ungeduld zähmen, aber diesmal fiel es ihr leichter, weil sie bei jedem Schritt das Gefühl hatte, dem Ziel etwas näher zu kommen. Der Ritt durch den Sumpf schien ihr wesentlich länger zu dauern als bei ihrer Ankunft, und sie vermutete, dass Gilraen diesmal einen anderen Weg gewählt hatte. Als der Abend nahte, lockerte sich das Dickicht am Wegrand zusehends auf und blieb schließlich ganz hinter ihnen zurück, während sich vor ihnen eine flache Hügellandschaft erstreckte, über der in der Ferne die schneebedeckten Gipfel des Ylmazur-Gebirges im Schein der sinkenden Sonne erglühten.
Lya-Numi erkannte den Hügel, auf dem Rukh etliche Sonnenläufe zuvor gelandet war, erst wieder, als sie ihn schon erklommen hatten.
»Wir sind da!« Die Hohepriesterin stieg vom Pferd, bedeutete Lya-Numi, es ihr gleichzutun, und wartete, bis die Priesterinnen das Gepäck abgeladen hatten. Dann verabschiedete sie sich liebevoll von ihrem Schimmel und reichte den beiden Priesterinnen die Zügel mit den Worten: »Gebt gut auf ihn acht.«
Die Priesterinnen verneigten sich und machten sich mit den Pferden unverzüglich auf den Heimweg. Als die beiden nicht mehr zu sehen waren, öffnete die Hohepriesterin die mitgeführten Bündel und reichte Lya-Numi einen dicken pelzgefütterten Mantel, eine warme Hose aus Steppenbüffelleder und mit weichem Fell gefütterte Stiefel, die Lya-Numi im Grasland nur im tiefsten Winter getragen hatte. Lya-Numi hielt es für einen Scherz. »Soll ich das anziehen?«, fragte sie lachend. »Aber es ist doch Sommer.«
»Nicht dort, wo wir hinreisen werden.« Das Gesicht der Hohepriesterin zeigte keine Regung. Als Lya-Numi sah, dass auch für Gilraen warme Kleidung in dem Bündel bereitlag, fragte sie nicht weiter nach. Gehorsam zog sie die Sachen über.
Rukh landete in ebendem Augenblick, da sie beide fertig angekleidet waren. Lya-Numi war nicht überrascht, ihn zu sehen, denn das Packpferd hatte unverkennbar Rukhs Sattel getragen. Obwohl Gilraen mit keinem Wort erwähnt hatte, dass sie fliegen würden, war Lya-Numi wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie den Rest des Weges auf dem Rücken des Riesenalps zurücklegen würden. Sie wollte der Hohepriesterin mit dem Sattel helfen, aber diese winkte ab. »Rukh ist etwas eigen«, sagte sie. »Er lässt sich nur von mir satteln. Gedulde dich einen Augenblick. Ich rufe dich, wenn
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