Der Mann auf dem blauen Fahrrad
Über die Erfahrungen von Radfahrern
einer früheren Generation
D ie Situation ist überhaupt nicht gut.
Im Gegenteil, sie ist an der Grenze zum Unerträglichen. Ein Mann trampelt mühsam auf einem blauen Fahrrad der Marke Svalan vorwärts, das in Nymans Werkstätten in Uppsala hergestellt wurde und solide, aber ziemlich abgewetzte Ballonreifen hat. Er fährt über knirschenden Kies. Auf dem Gepäckträger hat er eine Tasche, mehrfach mit einem verschlissenen Lederriemen umwickelt und ordentlich festgezurrt. Denn hier werden wertvolle Dinge transportiert. Über leere, von Vieh zertrampelte Felder. In einem Wind, der vom Mälaren-See herüberweht, ständig zunimmt und weit vor Einbruch der Nacht zu einem Sturm werden kann. Vermutlich ist es schon zu spät, um es noch nach Kolbäck zu schaffen und den Abendzug zurück in die Stadt zu nehmen. Die in diesem Fall Västerås ist.
Zu dieser Jahreszeit hat die Landschaft all ihren Zauber verloren. Sogar die Düfte haben sich vollkommen verändert. Wo man noch im August frisch gemähtes Heu roch und den speziellen, etwas herben Duft der Espen wahrnahm, wie sie dort an den Stränden stehen und nervös mit ihren empfindlichen, ja überempfindlichen Blättern zittern. Und den Duft von Landstraßenkies. Auch Kies hat seine Gerüche, die erheblich variieren können. Eben noch duftete diese Landschaft nach einem davonziehenden Sommer. In Zersetzung und Zerfall begriffen, aber doch mit einer Erinnerung an den Sommer.
Jetzt ist alles so viel nackter. Und aufrichtiger. Hier gibt es keine Gnade. Von den Feldern steigt ein Hauch von Odel auf, und aus den Ställen der großen Gutshöfe dringt der Geruch von Kuhpisse. Aus den Eichenwäldchen der säuerliche Duft von modrigem Laub. Vom Mälaren, den man von dem gewundenen Kiesweg aus mehr ahnen als sehen kann, ganz neue Düfte: faulende Sumpfbinsen, Altöl von einem vor Almö-Lindö gekenterten alten Kanalschiff, dem Dampfer Färna III . Der im Kanal von Strömholm der so unglücklich gesunkenen Färna I folgte. Und der jetzt wohl kaum in einem besseren Zustand ist als die I , die sich angeblich auf dem Boden des am wenigsten erforschten tiefen Lochs befindet – Bo Gryta. Die III hingegen liegt ganz einfach da draußen in der Werft und rostet. Vielleicht sind die Eigentümerverhältnisse unklar. Oder es gab einen Besitzer, aber einen, der sich nicht kümmerte. Der Radfahrer hat sie schon mehrmals gesehen. Sie liegt auf der Seite. Man kann sich Barsche und Plötzen vorstellen, wie sie dort herumschwimmen, wo einst die Kajüte des Kapitäns und die Logis der Mannschaft waren.
Und jetzt, da der Wind von der großen offenen Bucht her ins Land hineinweht, nimmt man den Geruch von altem ranzigen Maschinenöl wahr, vielleicht Diesel aus dem Tank, und den Geruch von faulendem Tauwerk. Kann Dieselöl wirklich ranzig werden? Kann Hanf verfaulen?
Es gibt so viele Fragen, die man sich stellen kann. Und der Mann auf dem Fahrrad stellt sie. Diese Landschaft passt perfekt zu seinem Gemütszustand. Er ist nicht selten melancholisch. Und gerade heute besonders. Am Morgen ist etwas geschehen, was ihm eigentlich die Lust genommen hat zurückzukehren. Man hat ihm unumwunden gesagt, er sei ein durch und durch untauglicher Mann. Untauglich für das eine wie für das andere. Untauglich für das meiste.
Und während man zwischen diesen leeren Feldern dahinradelt, wo nicht einmal ein vergessener Traktor daran erinnert, dass es dort kürzlich noch Vieh und Menschen gab, kann man die Welt allmählich als eine ziemlich witzlose Geschichte empfinden. Er hat eine vage Erinnerung daran, dass es eine Zeit gegeben haben muss, in der er die Welt auf eine andere Art betrachtete.
Eigentlich ist es viel zu spät, um mit einem völlig überladenen Gepäckträger durch die Dunkelheit und den Regen des Herbstabends zu radeln. Das verfluchte Haushaltsgerät Electrolux Assistent ist es, dessen Gewicht das Fahrrad instabil macht. Da helfen keine Ballonreifen. Auch keine zusätzlichen Befestigungen dahinten. Weiß der Teufel, ob es überhaupt etwas gibt, das hilft.
Ein Herbstmorgen am Hafen von Västerås
D as Vergangene ist ein Traum. Der Hafen von Västerås. An einem frühen Herbstmorgen 1953.
Lange, bis weit in den Oktober hinein, nahm er für gewöhnlich mit seinem schwer beladenen Fahrrad den Weg durch den Hafen zur Eisenbahn und dem Schienenbus, die ihn in die Gegenden bringen sollten, wo sich ihm möglicherweise eine Gelegenheit bieten würde, ein oder zwei
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