Die elfte Jungfrau
kleine Tochter unserer Base. Sie fiebert. Und die heilige Ursula ist doch auch die Patronin der kranken Kinder.«
Die Kirche zu Sankt Ursula lag in der Tat nicht weit vom Eigelstein entfernt, also mochte es den Steinheuers nicht lästig sein, sie zu begleiten, dachte Almut.
Sie überquerten den Alten Markt Richtung Dom, doch weit kamen sie nicht, denn plötzlich gab es ein lautes Geschrei in der Mühlengasse.
»Besessen! Er ist besessen!«
»Er bringt sich um!«
»Der Teufel bringt ihn um!«
»Die Dämonen der Hölle sind in ihn gefahren!«
»Holt den Priester!«
»Holt Weihwasser!«
»Seht die Grimassen. Der Satan hat ihn in den Krallen!«
Almut erhaschte einen Blick auf eine sich am Boden windende Gestalt mit einer zweizipfeligen Gugel auf dem Kopf. Sie erkannte daran Bertram, den Sohn der Pastetenbäckerin, und bahnte sich rücksichtslos den Weg durch die Schaulustigen, die sich an den Krämpfen des Leidenden weideten, jedoch keinerlei Anstalten machten, ihm zu helfen. Man ließ sie zu ihm, aber Warnungen vor den höllischen Geistern wurden laut und auch vor der Gewalttätigkeit eines Besessenen.
Doch als sie niederkniete und den Kopf des Jünglings in ihren Schoß bettete, wurde dieser ruhiger. Noch hatte er Schaum vor dem Mund, und seine Augen waren verdreht, aber die wilden Zuckungen hatten nachgelassen.
»Klopft einer von euch an das Klostertor und richtet aus, Frau Almut bitte den Bruder Markus her. Er ist der Infirmarius und wird zu helfen wissen!«, ordnete sie mit festem Blick auf die Umstehenden an. Ihr Beginengewand und ihre energische Stimme taten ihre Wirkung. Ein schmächtiger Scholar löste sich widerstrebend aus der Menge und wandte sich in Richtung Groß Sankt Martin.
Nun, da der Kranke ruhig dalag, verblasste die Sensation, und allmählich gingen die Gaffer ihrer Wege. Hilfesuchend sah sich Almut nach ihren Begleitern um, aber auch die hatten es wohl vorgezogen, nicht in den Tumult zu geraten. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Jungen wieder zu und bemerkte seine dick gepolsterte Gugel. Seine Mutter wusste um seine Anfälle und wollte ihn damit vor Kopfverletzungen schützen. Auch sein Wams und seine Hose waren an den Gelenken verstärkt. Es schien, als habe er dadurch wirklich keinen größeren Schaden erlitten, als er, wild um sich schlagend, auf das Pflaster gefallen war.
Große Kenntnisse von der seltsamen Krankheit, die ihn überkommen hatte, hatte Almut nicht, aber sie vermutete, es müsse die geheimnisvolle Fallsucht sein, die, wie man annahm, von übelwollenden Geistern verursacht wurde. Zu Geistern hatte sie jedoch, auf Grund gewisser Erfahrungen, eine eigene Meinung.
»Frau Almut, was ist Euch geschehen?«, hörte sie eine besorgte Frage.
»Begine, was habt Ihr schon wieder angestellt?«, wollte eine andere, weit vorwurfsvollere Stimme wissen.
»Ach, der heiligen Jungfrau sei Dank, dass Ihr so schnell gekommen seid, Bruder Markus. Die Leute haben den armen Jungen hier einfach auf der kalten Erde liegen lassen. Ich fürchte, er leidet an der Fallsucht.«
Der rundliche Benediktiner kniete neben Almut und hob den Kopf des nun offensichtlich tief schlafenden oder bewusstlosen Jungen vorsichtig hoch.
»Das ist gut möglich. Litt er an Zuckungen?«
»Zur Belustigung des Publikums - ja!«
»Ich werde ihn in die Infirmerie bringen lassen und sehen, was ich tun kann. Doch will es mir scheinen, der schlimmste Anfall ist nun überstanden. Könnt Ihr noch einen kleinen Augenblick bei ihm wachen? Ich will meine Helfer holen.«
»Ich kann Euch doch …«
»Ihr werdet tun, was Euch geboten wird!«, grollte es von oben herab.
Almut hob die Augen und betrachtete den schwarzen Berg über ihr, von dem ihr keine Hilfe kam.
»Pater Ivo, wie ich sehe, erfreut Ihr Euch wieder allerbester Gesundheit, auch wenn Euch noch ein derber Knüttel zur Stütze dient. Oder hat er eher die Aufgabe, die Widersetzlichen zu züchtigen?«
Bruder Markus ergriff eilig die Flucht ins Kloster.
»Zur Stütze, Begine, denn ich bin schwach und leidend und hatte mich eben unter der fürsorglichen Obhut unseres Infirmarius befunden, als Eure Botschaft ihn von mir riss!«
»›Ein guter Ruf ist besser als eine gute Salbe, und der Tag des Todes besser als der Geburt‹, sagt der Prediger, Pater. Also nörgelt nicht.«
»Gott, der Gerechte, es hat Euch jemand den Kohelet zu lesen gegeben, Begine!«
Almut erlaubte sich lediglich ein haarfeines Lächeln ob der Empörung in Pater Ivos Stimme und widmete
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