Die elfte Jungfrau
wir leben jetzt und in dieser unvollkommenen Welt, und jener weise Prediger hat auch erkannt, dass man das Beste daraus machen muss. Wenn man schließlich zu dieser Erkenntnis gelangt, dann kann man - wie Ihr es einmal beschrieben habt - das Webmuster verändern. Ich tat es und fand ein unerwartetes Licht in meinem Leben. Und habe wieder Freude an einem goldenen Frühlingstag.«
Ivo vom Spiegel lächelte Almut unbeschwert an.
»Es gibt nun Licht in Eurem Leben, Herr vom Spiegel?«
»Es gibt, und es ist nicht nur meinen Augen lieblich, sondern es erleuchtet auch mein Herz. Ich habe einst einen großen Fehler gemacht. Ich habe ihn bereut, lange und gründlich und auf ganz andere Weise, als die Kirche es für möglich hält. Ich habe auch gebüßt und wie Theo meint, für die Sünden der nächsten zwanzig Jahre im Voraus. Darum würde ich es jetzt und in diesem Augenblick durchaus auf mich nehmen, eine weitere Sünde zu begehen.«
Sie musste trocken schlucken, denn seine Augen ruhten mit sanfter Eindringlichkeit auf ihr, dennoch fragte sie: »Eine große?«
»Beurteilt selbst.«
Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Erwartungsvoll hob sie ihren Kopf. Zärtlich berührten seine Lippen die ihren. Dann löste er sich wieder von ihr.
Almut hielt den Kopf ein wenig schräg, und aus ihren Zügen blitzte der Mutwillen.
»Eine sehr kleine. Ein Bejinge-Bützche, das noch nicht einmal einen süßen Wecken wert ist!«, neckte sie ihn.
»Ich könnte es noch einmal probieren«, schlug er vor.
»Versucht es!«
Er tat es, und diesmal war es keine ganz so flüchtige Berührung mehr. Fester zog er sie an sich, und Almut legte ihre Hände auf seine Schultern.
»Ein halber Wecken!«, spöttelte sie kurz darauf etwas atemlos.
»Wollt Ihr mich tatsächlich zu größeren Sünden verleiten?«
»Sorgt Ihr Euch um das Heil Eurer hornhäutigen Seele?«
Das tat er ganz augenscheinlich nicht, denn mit großer Inbrunst widmete er sich sogleich seinem sündigen Tun, und Almut war äußerst dankbar dafür, dass er sie eng an sich gedrückt hielt, denn es wollten ihr die Knie nachgeben.
Als sie sich schließlich glücklich und geborgen in seine Arme geschmiegt hatte, flüsterte er: »›Du hast mir mein Herz genommen, meine Schwester, meine Braut, du hast mir das Herz genommen mit einem einzigen Blick aus deinen Augen.‹«
»Salomo?«
»Ja, doch nicht der Prediger, Geliebte, sondern der Sänger des Hohen Liedes.«
Und es kündeten die Glocken aller Kirchen und Klöster des heiligen Köln von der Auferstehung des Herrn und von der Erlösung von allen Sünden.
Ein Jegliches hat eben seine Zeit …
1. Auflage
Originalausgabe August 2007 bei Blanvalet,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
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Umschlagmotive: Köln/Stadtansicht © AKG Images, Berlin;
Lucas Cranach © Bridgman Art Library
Redaktion: Dr. Rainer Schöttle
SK · Herstellung: Heidrun Nawrot
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
eISBN : 978-3-641-01806-1
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