Die elfte Jungfrau
Edwin befürchtete das auch schon...«
»Ah ja.«
»Er meinte, Mädchen und Frauen als das schwatzhafte Geschlecht seien dem Lernen von Sprachen gegenüber aufgeschlossener. Er hat übrigens vorher bei den Schiderichs unterrichtet. Aber das arme Mädchen ist ja gestorben.«
»Wer?«
»Hast du nichts davon gehört? Die Gisela Schiderich, kaum sechzehn und so ein hübsches und kluges Ding. Man hat sie kurz vor Silvester erfroren im Garten gefunden. Es heißt, die Stiefmutter habe sie mit ihrer bösen Zunge aus dem Haus getrieben. Es hat oft Gezanke zwischen den beiden gegeben.«
»Schlimm für das Mädchen. Ich habe sie zwar schon mal gesehen, aber ich kenne weder sie noch die Stiefmutter. Du weißt, ich verkehre nicht in so hoch gestellten Kreisen. Und schon gar nicht mit zänkischen Stiefmüttern.«
Almut lächelte die ihre an und erhielt einen liebevollen Nasenstüber.
»Du verkehrst sehr wohl in hochgestellten Kreisen. Eure Rigmundis ist eine Kleingedank und eure Meisterin eine von Stave, und die sind nun wirklich angesehen. Genau wie die vom Spiegel. Wie geht es übrigens deinem Pater?«
»Er ist nicht mein Pater!«
»Entschuldige. Also, Pater Ivo vom Spiegel?« Almut zögerte ein wenig bei der Antwort, aber dann berichtete sie dennoch.
»Der Pitter trifft manchmal den Novizen Lodewig, und der hat gesagt, er habe die Krankenstube schon wieder verlassen und seine Arbeiten aufgenommen. Aber er geht noch am Stock.«
»Ein starkes Wundfieber schwächt den Körper sehr!« Pater Ivo, Benediktiner zu Groß Sankt Martin, war um die Weihnachtszeit den Rachegelüsten seines Priors zum Opfer gefallen und misshandelt worden. Almut, die zusammen mit dem Pater in einen Aufsehen erregenden Fall um eine kopflose Frau und den Schöffen Gerhard de Benasis verwickelt war, hatte ihn zusammen mit Pitter aus dem Kerker des Klosters gerettet.
»Du hast ihn seither nicht mehr getroffen?«, wollte Frau Barbara beiläufig wissen.
»Warum sollte ich? Die Mönche schätzen Besuch von Frauen nicht sehr.«
Der Feuerschein des Kamins färbte Almuts Wangen rot, sie stand auf und ging zum Fenster, um sich der Hitze ein wenig zu entziehen. Ihre Stiefmutter registrierte es, ohne darauf einzugehen. Sie hatte eine andere Neuigkeit für ihre Tochter.
»Ich hörte, der alte Gauwin vom Spiegel sei nach Köln zurückgekehrt.«
Mit einem fragenden Blick drehte Almut sich zu ihr um.
»Sein Vater«, erklärte Frau Barbara. »Er hat die letzten Jahre im Süden verbracht, in Rom, wie es heißt.«
»Sein Vater lebt noch?«
»Hört sich ganz so an. Und er hat noch immer einigen Einfluss - hier und da. Und in Rom.«
Almut drehte sich wieder zu den kalten Fensterscheiben. Aber Frau Barbara vermeinte zu hören, wie sie leise sagte: »Er kann auch nichts ausrichten!«
Knarrende Treppenstufen und laute Tritte unterbrachen die Unterhaltung über das heikle Thema, das Almut nur höchst ungern erörterte. Der Baumeister Conrad Bertholf trat in die Stube. Seine dunkle Heuke legte er auf eine Truhe und das Barett daneben.
»Wie geht es Eurem Parler, Conrad?«, fragte ihn seine Gemahlin.
»Er wird noch einige Zeit das Bett hüten müssen. Der Knocheneinrenker meint aber, es wird wieder heilen.«
Während sich ihre Eltern unterhielten, schaute Almut durch die bleiverglasten Scheiben auf die Gasse hinaus und haschte nach dem Wind.
Selbstverständlich hatte Conrad Bertholf sich strikt geweigert, seine Tochter zu dem Menschenauflauf mitzunehmen. Und selbstverständlich hatte er es dann doch getan. So standen sie nun dicht gedrängt zwischen den Händlern und Kaufleuten, Bettlern und Wirtsleuten, Scholaren und Klerikalen, Zunftmeistern und Gesellen, die die Bürgerschaft von Köln ausmachten, und hörten sich an, welche Vereinbarung der Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden und der Rat der Stadt Köln getroffen hatten, um den Streit beizulegen, den man den Schöffenkrieg nannte.
Mit Befriedigung registrierte Almut, dass die Kirchenstrafen - das Interdikt und die Exkommunikationen - aufgehoben wurden, die Stadt aus Bann und Acht entlassen und alle Femeverfahren eingestellt würden. Die Schöffen kehrten zurück, mit Ausnahme von Koevelshoven und Gerhard de Benasis, die wegen ihres verräterischen Tuns die Stadt nicht mehr betreten durften. Es sollten wieder alle zwei Wochen die Gerichtstage stattfinden und die Schreinsurkunden regelmäßig geführt werden. Der Erzbischof hatte sich verpflichtet, die Güter zurückzugeben, die er sich im Laufe der
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