Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Mårten grinste. »Bis sie ihre Ausrüstung hergeschafft haben, ist es zu spät.«
»Bitte, Mårten«, sagte Ebba, aber Anna begriff, dass mit ihm zu reden sinnlos war. Wenn sie nichts unternahm, würde Mårten hier unten mit ihnen sterben.
In diesem Moment wurde ein Schlüssel ins Schloss gesteckt, und Mårten drehte sich verblüfft um. Auf diese Gelegenheit hatte Anna nur gewartet. Blitzartig hob sie den Engelanhänger vom Boden auf und stürzte sich auf Mårten. Sie verpasste ihm einen tiefen Kratzer und griff mit der anderen Hand nach der Waffe. In dem Moment, als sie den kalten Stahl unter ihren Fingerspitzen fühlte, fiel ein Schuss.
Eigentlich hatte er beschlossen, heute zu sterben. Es kam ihm wie eine logische Folge seines Scheiterns vor, und die Entscheidung löste nur Erleichterung in ihm aus. Als er von zu Hause fortging, wusste er noch nicht, wie er sterben würde, doch als Percy plötzlich mit seiner Pistole herumfuchtelte, war ihm der Gedanke gekommen, als Held zu sterben.
Nun erschien ihm dieser Entschluss eigenartig überstürzt. Auf dem Weg die dunkle Treppe hinunter war Josefs Lebenswille stärker als je zuvor. Er wollte nicht sterben und schon gar nicht an dem Ort seiner jahrelangen Alpträume. Ohne Waffe fühlte Josef sich unangenehm nackt. Es war keine Frage gewesen, dass er die Polizisten in den Keller begleitete. Nur er konnte ihnen den Weg zeigen, denn er als Einziger kannte den Weg zur Hölle.
Die Polizisten warteten am Fuß der Treppe auf ihn. Patrik Hedström zog fragend eine Augenbraue hoch, und Josef zeigte auf die hintere Wand. Schiefe Regalbretter voller klebriger Farbdosen waren daran befestigt, und auch sonst wirkte die Wand vollkommen normal. Er bemerkte Patriks skeptische Miene und ging voran. Ganz deutlich erinnerte er sich an alles: die Gerüche, den Beton unter den Füßen und die abgestandene Luft.
Nach einem Blick in Patriks Richtung drückte Josef auf das mittlere Regalbrett. Die Wand gab nach, schwang nach hinten, und ein Gang wurde sichtbar, der zu einer massiven Tür führte. Josef machte einen Schritt zur Seite. Vor der Tür blieben sie stehen und horchten. Auf der anderen Seite war leises Murmeln zu hören. Josef wusste genau, wie es dort drinnen aussah. Er brauchte nur die Augen zu schließen, um das Bild vor sich zu sehen. Die kahlen Wände und die nackte Glühbirne, die von der Decke hing. Und die vier Kisten. Den Revolver hatten sie in eine von ihnen gelegt. Ebbas Mann musste ihn dort gefunden haben. Josef fragte sich, ob er die Kisten auch geöffnet hatte und wusste, was sich darin befand. Wie auch immer, nun würden es alle erfahren. Es gab kein Zurück.
Patrik zog den Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn ins Schloss. Der Blick, den er Josef und den Kollegen zuwarf, zeigte deutlich, dass er eine Katastrophe befürchtete.
Vorsichtig öffnete Patrik die Tür. Ein Schuss fiel, und dann sah Josef die Polizisten mit gezogenen Waffen den Raum stürmen. Er selbst blieb im Gang stehen. In dem Tumult konnte er nur schwer ausmachen, was genau sich abspielte, aber er hörte Patrik schreien: »Lassen Sie die Waffe fallen!« Ein Licht blitzte auf, ein lauter Schuss wurde abgefeuert, von dem Josef die Ohren weh taten. Dann stürzte jemand zu Boden.
In der darauffolgenden Stille klingelte es in seinen Ohren. Josef hörte seine eigenen kurzen und flachen Atemzüge. Er lebte, er spürte, dass er lebte, und er war dankbar dafür. Rebecka würde sich Sorgen machen, wenn sie den Brief fand, aber er würde versuchen, ihr alles zu erklären. Denn er starb heute nicht.
Jemand kam die Treppe heruntergerast. Als er sich umdrehte, sah er Ia. Schreckerfüllt sah sie ihn an.
»Ebba«, sagte sie. »Wo ist Ebba?«
Blut war auf die Kisten und an die Wand gespritzt. Wie aus weiter Ferne hörte sie Ebba schreien.
»Anna.« Patrik packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Sie zeigte auf ihr Ohr. »Ich glaube, mein Trommelfell ist geplatzt. Ich höre ganz schlecht.«
Ihre Stimme klang dumpf und merkwürdig. Alles war so schnell gegangen. Sie sah auf ihre Hände. An denen Blut klebte. Sie suchte ihren ganzen Körper ab, blutete aber nirgendwo. Noch immer hielt sie Ebbas Engel fest in der Hand, mit dem sie Mårten das Gesicht zerschnitten hatte. Es war sein Blut. Nun lag er mit offenen Augen auf dem Fußboden. Die Kugel hatte ein großes Loch in seinen Schädel geschlagen.
Anna wandte sich ab. Ebba schrie immer noch. Plötzlich kam eine Frau hereingelaufen, schlang die Arme
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