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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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Mikrofon zu überprüfen, trug dem Kalkulator aufs Geratewohl auf, die vierte Wurzel aus 876998341056396 zu ziehen, warf aber nicht einen einzigen Blick auf das Ergebnis, das der Automat, der die kleinen Ziffern nervös durch seine Fensterchen schnurren ließ, in Windeseile ausspuckte, als hinge sonstwas davon ab. Er erging sich in folgenden Gedanken: Nach der Landung würde er zuerst ganz lässig die Handschuhe aus der Raketenluke werfen, dann würde er sich eine Zigarette anstecken, in die Messe gehen und sich was Gebrutzeltes bestellen, was Scharfes, mit rotem Paprika, dazu ein großes Helles, er trank nämlich gern Bier.
       In diesem Augenblick bemerkte er den kleinen Lichtfleck. Er schielte nur mit einem Auge auf den linken vorderen Bildschirm, denn im Geiste war er bereits in der Messe, ja, er schnupperte schon den lieblichen Duft frischer Bratkartoffeln, die extra für ihn zubereitet wurden, und dennoch — das Lichtpünktchen war kaum mitten ins Bild gewandert, da spannte er so sehr die Muskeln an, daß er ohne die Gurte garantiert vom Sessel geschnellt wäre. Der Bildschirm hatte ungefähr einen Durchmesser von einem Meter und sah aus wie ein schwarzer Schacht — ziemlich genau in der Mitte leuchtete das Rho des Schlangenträgers, und in der Milchstraße klaffte ein doppelter dunkler Spalt, der bis an den Rand des Schirms reichte. Zu beiden Seiten schien alles wie mit Sternenpulver bestreut. In dieses reglose Bild glitt langsam ein einziger Lichtpunkt, der aber wesentlich besser zu erkennen war als jeder Stern. Nicht, daß er besonders hell gewesen wäre — Pirx bemerkte ihn deshalb sofort, weil er sich bewegte.
       Man kann im Raum bewegliche Lichtpunkte antreffen — die Positionslichter von Raketen. Normalerweise jedoch werden diese Lichter nicht eingeschaltet, es geschieht nur auf besondere Aufforderung über Funk, zum Zwecke der Identifizierung. Alle Raumkörper haben ihre speziellen Positionslichter — Passagierschiffe, Gütertransporte, die schnellen ballistischen Raketen, Patrouillenschiffe, Raketen des kosmischen Dienstes, Tanker und so weiter. All diese Lampen sind an den unterschiedlichsten Stellen angebracht und haben die verschiedensten Farben — mit einer einzigen Ausnahme: Weiß. Mit weißen Positionslichtern sind die Raketen deshalb nicht ausgestattet, damit man sie von den Sternen unterscheiden kann. Fliegen nämlich zwei Schiffe dicht hintereinander, so könnte das weiße Licht des ersten den Eindruck erwecken, als bewege es sich nicht. Das aber muß vermieden werden, weil andernfalls die Gefahr besteht, daß der Pilot irregeführt wird.
       Der kleine Punkt, der träge ins Bild kroch, war jedoch schneeweiß, und Pirx hatte das Gefühl, die Augen müßten ihm aus den Höhlen treten. Aus Angst, den Lichtfleck aus dem Blickfeld zu verlieren, wagte er nicht, mit den Wimpern zu zucken. Als ihm schließlich die Lider brannten, blinzelte er — aber alles blieb unverändert. Der weiße Punkt glitt seelenruhig über den Schirm, nur noch ein Dutzend Zentimeter trennten ihn vom gegenüberliegenden Rand. Eine Minute noch, und er würde aus seinem Gesichtskreis verschwinden.
    Ohne noch einmal die Hilfe der Augen in Anspruch zu nehmen, packten seine Hände ganz von selbst die richtigen Hebel. Der Reaktor, der bisher im Leerlauf gearbeitet hatte, gab, jäh aufgeschreckt, blitzartig Schub. Die Beschleunigung drückte Pirx tief in den Schaumgummisessel. Auf den Leuchtschirmen gerieten die Sterne in Bewegung, die Milchstraße flog schräg nach unten wie eine wirkliche Straße aus Milch, dafür rührte sich nun das Pünktchen nicht mehr vom Fleck — der Bug der Rakete nahm es genau aufs Korn und stieß zu wie die Nase eines Jagdhundes, der einen Rebhuhnschwarm im Gebüsch aufstöbert. Tja, gelernt war gelernt!
       Das Manöver dauerte keine zehn Sekunden.
       Bislang hatte Pilot Pirx keine Zeit zum Überlegen gefunden, und nun erst fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Das, was er da sah, mußte eine Halluzination sein, weil es so etwas gar nicht gab. Dieser Gedanke machte ihm alle Ehre. Im allgemeinen vertrauen die Menschen ja vorbehaltlos ihren eigenen Sinnen, und wenn sie auf der Straße einem verstorbenen Bekannten begegnen, sind sie eher geneigt anzunehmen, er sei von den Toten auferstanden, als an ihrem eigenen Verstand zu zweifeln.
       Pirx ließ die Hand an der Außentasche der Sesselverkleidung verschwinden, angelte ein kleines Flakon hervor, steckte sich die beiden

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