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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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Glasröhrchen in die Nase und tat einen tiefen Atemzug, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Psychran war angeblich imstande, sogar Jogis aus ihren kataleptischen Posen und Heilige aus ihren Visionen zu reißen. Das Lichtpünktchen in der Mitte des linken Bildschirms flimmerte jedoch weiterhin vor seinen Augen. Nun, da er seiner Pflicht nachgekommen war, steckte er das Fläschchen an seinen Platz zurück, führte ein leichtes Steuermanöver durch, und als er sich vergewissert hatte, daß er dem Punkt auf konvergierendem Kurs folgte, blickte er auf den Radarschirm, um die Entfernung bis zu diesem
    leuchtenden Körper abzuschätzen.
       Und dabei erlitt er den zweiten Schock: Die Leuchtscheibe des Meteorradars war leer. Der grünliche Leitstrahl, leuchtend wie ein unter starker Insolation stehender Phosphorstreifen, lief immer rund um die Scheibe, immer rundherum, und wies nicht den kleinsten Lichtschimmer auf. Nichts, rein gar nichts!
       Pirx verstieg sich natürlich nicht zu der Annahme, er hätte einen Geist mit einem Heiligenschein vor sich. Er glaubte überhaupt nicht an Geister, obgleich er in gewissen Situationen manchen Frauen davon erzählte — um Spiritismus handelte es sich in solchen Fällen allerdings nicht.
       Er war ganz einfach der Meinung, es sei kein toter Raumkörper, dem er da nachjagte, denn diese Körper reflektierten in jedem Fall die gebündelten Radarstrahlen. Nur künstlich hergestellte und mit einer Spezialsubstanz überzogene Gegenstände, die die Zentimeterwellen absorbierten, löschten und zerstreuten, gaben kein optisches Echo.
       Pilot Pirx räusperte sich und sagte gemessen, wobei er deutlich spürte, wie sein auf und ab rutschender Adamsapfel einen leichten Druck auf das daran befestigte Laryngo-phon ausübte: Patr ouillen-AMU einhundertelf an fliegendes Objekt im Sektor tausendeinhundertzwei Komma zwei auf Approximativkurs nach Sektor tausendvierhundertvier mit weißem Positionslicht! Bitte um CQD-A-gabe. Bitte um CQD-Angabe. Schalte auf Empfang.
       Dann harrte er der Dinge, die da kommen sollten.
       Sekunden und Minuten vergingen — keine Antwort. Statt dessen bemerkte Pirx, daß der Lichtpunkt blasser wurde, sich folglich von ihm entfernte. Der Radarentfernungsmesser schied ja aus, aber als Reserve führte er außerdem einen, wenn auch primitiven, optischen Entfernungsmesser mit. Er streckte das eine Bein weit vor und drückte aufs Pedal. Das Gerät kam von oben heruntergefahren, es glich einem Fernrohr. Pirx zog es mit der linken Hand an die Augen und begann die Schärfe einzustellen.
       Im Handumdrehen hatte er das Pünktchen im Objektiv — und noch ein bißchen mehr. Es wuchs und nahm die Größe einer Erbse an, die man aus einer Entfernung von fünf Metern betrachtet; für Raumverhältnisse war es also geradezu riesig. Hinzu kam, daß über seine runde, ein wenig abgeplattete Oberfläche langsam winzige dunkle Streifen von rechts nach links hinwegglitten, als bewegte jemand dicht vor dem Objektiv des Entfernungsmessers ein dickes schwarzes Haar hin und her. Diese dunkleren Stellen waren ebenso verschwommen und undeutlich, aber die Richtung blieb unverändert — sie zogen unaufhörlich von rechts nach links.
       Pirx drehte am Regler, aber der Lichtfleck ließ sich beim besten Willen nicht näher heranholen. Also halbierte er ihn mit einem speziell für diese Zwecke vorgesehenen zweiten Prisma und verschob die beiden Hälften so lange, bis sie einander genau überlagerten. Als er das geschafft hatte, warf er einen Blick auf die Skala und erstarrte zum drittenmal.
       Das leuchtende Objekt war nur vier Kilometer von der Rakete entfernt!
       Das war vergleichsweise ein Abstand von nur fünf Millimetern zwischen zwei mit hoher Geschwindigkeit dahinrasenden Rennwagen. Im Raum war eine solche Annäherung ebenso unzulässig wie gefährlich.
       Pirx blieb nicht mehr viel zu tun. Er richtete den Zeiger der Außenthermodampfapparatur auf den Punkt aus, stellte per ferngesteuertem Hebel den Sucher ein, bis er sich genau mit dem milchig weißen Fleck deckte, und schielte blitzschnell nach dem Ergebnis: 24 Grad Kelvin.
       Das hieß, daß der Lichtpunkt die Temperatur des kosmischen Vakuums hatte — 24 Grad über dem
    absoluten Nullpunkt.
       Eigentlich war er nun schon ganz sicher, daß der Fleck gar nicht leuchten, sich erst recht nicht bewegen, ja überhaupt nicht existieren konnte; weil dieser ihm aber dicht vor der Nase schwebte,

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